„Mehr Risiko wagen im Leben“

Regisseur Thomas Vinterberg über seine Alkohol-Dramedy „Der Rausch“

Gemeinsam mit seinem dänischen Landsmann Lars von Trier gehört Thomas Vinterberg zu den Verfassern von „Dogma 95“, jenem Manifest, das von den Regisseuren verlangt, auf den Einsatz von Kamerastativen oder Licht zugunsten einer unmittelbaren Erzählweise zu verzichten. Nach diesen Regeln drehte er 1998 „Das Fest“, der in Cannes den Jurypreis bekam. Dort präsentierte er ebenfalls „Die Jagd“, das von einer Hexenjagd auf einen Kindergärtner erzählt, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Auf der Berlinale sorgte Vinterberg zuletzt mit dem Hippie-Drama „Die Kommune“ für Vergnügen. Nun erzählt der Däne in „Der Rausch“ von einem Lehrer, der mit Alkohol zu besseren Leistungen kommen will. Einmal mehr spielt Mads Mikkelsen die Hauptrolle. Mit dem Regisseur unterhielt sich unser Filmexperte Dieter Oßwald.

 

Herr Vinterberg, als Sie auf der Berlinale Ihr neues Werk „Der Rausch“ ankündigten, prophezeiten Sie einen Shit-Storm wegen des Feierns von Alkohol. Nun bekommen Sie auf Festivals beste Kritiken dafür … Wie denken Sie darüber?
Das Projekt hat sich verändert. Zu Beginn war die Idee, etwas Sensationelles, leicht Provokatives über Alkohol zu erzählen. Churchill zum Beispiel schickte 200 000 Zivilisten in den Krieg. Bei dieser Entscheidung war er nicht betrunken, aber vermutlich eben auch nicht nüchtern. Aber dann erkannte ich: Viel faszinierender ist das Thema, wie diese akzeptierte Droge die Menschen beflügeln und gleichzeitig tödlich sein kann. Trinken zerstört Familien und Gesellschaften. Ich wollte die ganze Geschichte über Alkohol erzählen. Danach wurde ich noch ambitionierter: Es geht nicht mehr nur um Alkohol, sondern um das Leben. Darum, sich selbst das Unkontrollierbare zu erlauben.

Stimmt diese Story mit Churchill oder ist das eine Legende?
Wir wissen nicht, ob diese Geschichte stimmt. Aber viele Zeitzeugen erzählen von seiner Vorliebe von Champagner zum Frühstück. Für mich klingt sein Vorhaben auch nicht nach einer Idee im Suff. Vielmehr ist es ein sehr mutiger und überzeugend irrationaler Plan – genau solche Ideen bekommt man im Stadium zwischen nüchtern und betrunken. Vielleicht ist die Sache mit Churchill auch nur ein Mythos – aber macht das etwas aus?

Ihre Film-Trinker berufen sich auf den norwegischen Psychiater Finn Skårderud, wonach dauerhafter Alkohol-Genuss die Leistung steigere. Gibt es diesen Trinker-Denker oder haben Sie ihn erfunden?
Finn Skårderud existiert, seine Theorie existiert seit 20 Jahren und er steht bis heute dazu. Er sagt, durch Alkohol werde man mutiger und kreativer, doch das meint er polemisch. Ich habe ihn getroffen und er war begeistert, dass wir seine Theorie im Film aufgreifen. Vor allem mochte er, dass wir dieses Thema nicht mit einer moralischen Botschaft versehen.

Schauspieler, die Betrunkene spielen, wirken selten glaubhaft. Wie haben Sie das Problem gelöst? Mit echtem Alkohol für die Akteure?
Die Schauspieler haben beim Dreh keinen Alkohol getrunken – was sie in den Pausen im Wohnwagen gemacht haben, weiß ich allerdings nicht. (lacht) Einen zwölfstündigen Drehtag würde man betrunken nicht durchstehen. Einen Besoffenen zu spielen, bedeutet harte Arbeit, zudem viel Recherche: Wir haben reichlich russische Videos auf YouTube angeschaut! Bis zu einem gewissen Promillegehalt geht es darum, die Betrunkenheit zu verbergen und so zu tun, als wäre man nüchtern: Man bewegt sich ganz besonders präzise. Mehr Alkohol macht die Sache schwierig, dann wird Bewegung zu einem tragischen Ballett.

Vom besoffenen Russen lernen, heißt siegen lernen. Was war die Lektion der Wodka-Videos?
Wenn man in sehr betrunkenem Zustand stürzt, dann schützt man sich nicht mehr. Man fällt einfach auf das Gesicht, ohne die Hände noch davorzuhalten. Diesen Ablauf haben wir für den Film übernommen, natürlich mit den notwendigen Sicherheitsmaßnamen für die Schauspieler.

Neben dem Fallen geht es auch ums Tanzen. Zum Finale darf Mads Mikkelsen zeigen, was er einst in der Tanzschule gelernt hat. Wie kam es zu diesem fröhlichen Schluss à la Fred Astaire?
Fred Astaire oder besser: Alexis Sorbas! Solche Dinge bekommt man als Bonus, wenn man Rollen schreibt für Leute, die man gut kennt. Aus diesem Grund schreibe ich meine Figuren fast immer mit vertrauten Schauspielern im Hintergrund. Bei Mads wusste ich von seiner Tänzer-Vergangenheit und ich wollte zeigen, wie sich seine Figur mit diesem Tanz regelrecht befreit. Es bedurfte allerdings einiger Überredung, bis Mads dazu bereit war. Beim Tanzen gibt man schließlich sehr viel von sich preis.

 

 

 

 

 

 

Tanzen statt trinken – wäre das eine Botschaft des Films für Sie?
Ich habe keine Botschaft. Aber meine eigene Lektion wäre: Das Unkontrollierbare im Leben zulassen! Sich verlieben oder Ideen entwickeln funktioniert besser ohne Kontrolle. Man sollte mehr Risiko und Neugier im Leben wagen.

Nicht nur Ihren Filmhelden gelingt dieses Wagnis vor allem mit Alkohol …
Stimmt, dieses Phänomen wollte ich im Film erforschen. Machen wir ein Gedankenexperiment: Was wäre, hätte Gott die Welt ohne Alkohol geschaffen? Ich bin mir sicher, wir hätten dann eben einen anderen Weg zum Unkontrollierbaren gefunden.

Was wäre passiert, hätten sich Ihre Lehrer an die 0,5 Promille-Grenze gehalten? Mit diesem Alkohol-Level ging es ihnen doch tatsächlich sehr viel besser?
Ich habe gelernt, dass Alkohol in Phasen kommt. In Stufe eins wird die Person eine außergewöhnlich beflügelte Version ihrer selbst. In Stufe zwei muss man trinken, um wieder man selbst zu sein. Denn jetzt ist man ein miese Version seiner selbst und braucht Alkohol, um in den ursprünglichen Zustand zu kommen. Der Übergang von Phase eins zu zwei geschieht unmerklich. In Stufe drei schließlich kommt es zu körperlichen Problemen, wenn man nicht trinkt. Deswegen empfehle ich, in Stufe eins zu bleiben. Wer ehrlich zu sich ist, wird erkennen, wie knapp man vor Stufe zwei steht: Du brauchst deinen Wein zum Essen, um weniger missgelaunt zu sein. Oder du trinkst jeden Abend deine Flasche Roten. An dieser Stelle sollte man aufhören und zwar für eine längere Zeit. Nur so kommt man zurück in Stufe eins.

Wie lange hielten Sie sich in Stufe eins auf?
Mein Leben ist das ganze Gegenteil von Stufe eins, es wird bestimmt durch Kinder, Karriere, Kontrolle und Planung. Oft denke ich: Die Zeit vergeht und ich trinke nicht genug. Wenn ich allerdings mit dem Film auf Festivals unterwegs bin, stimmt das nicht ganz. Da schleicht sich Alkohol ständig überall ein. (lacht) 

Interview Dieter Oßwald
Fotos Fotograf Henrik Ohsten

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