Arsch hoch!

Friedrich Kautz, besser bekannt als Prinz Pi, gehört zu Deutschlands erfolgreichsten Rappern. In den letzten 20 Jahren veröffentlichte der Berliner mehr als zehn Studioalben, im Januar 2023 erscheint sein neuestes Werk mit dem Titel ADHS.

Dabei nimmt sich Prinz Pi einmal mehr der großen gesellschaftlichen Themen an und erschafft, durch den Blick auf das emotionale Innenleben, ein Spiegelbild des Zeitgeistes. Mit seinem unverwechselbaren Stil regt er so zum Nachdenken und Reflektieren an, spendet Kraft und Mut sich den eigenen Dämonen zu stellen. Seine meist biografisch gefärbten Erzählungen stehen im Kontrast zu der heutigen schnelllebigen Zeit und können als Aufruf zu mehr Besonnenheit und Reflexion verstanden werden. Wir sind zum Video-Call verabredet um über Nostalgie, neue Musik, aktuelle Krisen und Lösungsansätze für die Zukunft zu sprechen. Am Donnerstagmorgen um 11 Uhr erreichen wir den Rapper in seinem Homestudio.

 

im B58 gespielt. Kannst du dich daran erinnern?
Was verbindest du mit dieser Zeit?

Das war so ne Zeit, das war eine große Depression für deutsche Rapmusik. Es gab diesen Hype zur Jahrtausendwende, da war das sehr erfolgreich. Und danach die Zeit, wo ich angefangen habe, ernsthaft Musik zu machen. Also 2005 oder 2006 da kam mein erstes Album, da war klar ich mache das jetzt als Beruf, da war leider so ein bisschen die Zeit dieser großen Depression. Egal wer da grad Musik gemacht hat, das war nie so richtig erfolgreich. Rap, Deutscher Rap war da keine Musikrichtung, die viele Leute gehört haben, das wurde erst 2010 oder 2011 wieder besser und mittlerweile ist das die mit Abstand erfolgreichste Musikrichtung. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.
Das war damals also eine andere Zeit und die Szene war insgesamt nicht so groß. Alles war ein bisschen kleiner und unprofessioneller, aber schon cool.

Und in der Situation hast du beschlossen das zu deinem Beruf zu machen und Konzerte für 200 Leute zu spielen?
Ja, wenn du 10 Konzerte für 200 Leute spielst, ist doch auch gut. Kein weltweit bekannter Jazzmusiker wird jemals vor wesentlich mehr Publikum spielen, there is no shame in that.
Ich finde auch wirklich die schönste Größe für ein Konzert, so dass es wirklich ein unvergesslicher Abend wird für alle die da sind, ist so von 300 bis 600 Leuten. Wenn du in einem 500er Club der wirklich knackevoll ist spielst, ist das einfach sehr schön und sehr nah. Da ist dann meistens der Sound auch schon gut. Wenn die Locations dann größer werden, dann hat man auch mehr Abstand zum Publikum, da gibt es einen Graben und die Bühne ist breiter, es ist vielleicht alles etwas professioneller und mehr eine Show, aber dadurch auch nicht mehr so persönlich. Und ich mag diese persönliche Komponente eigentlich sehr gerne. Darum spiele ich immer auch in solchen Clubs, einfach weil ich das mehr mag als die größeren Locations.

Im Song 1995 blickst du noch weiter zurück, auf deine Westberliner Jugend. Gab es einen speziellen Anlass für diese Rückschau?
Ich glaube der menschliche Geist, Erinnerungen, die du hast, die sind so ein bisschen wie Kohlensäure und manchmal kommen so kleine Bläschen an die Oberfläche. Manchmal kommen dann Themen hoch die einen in dem Moment dann beschäftigen, das passiert einfach. Ich kann das gar nicht besser erklären. Ich glaube aber viele Dinge aus der Kindheit und aus der Jugend die gären sehr lange in einem und irgendwann findet man, als Künstler, vielleicht die passenden Worte dafür.
Ich glaube die Erlebnisse, die uns prägen in unserer Jugend und Kindheit, die sind so krass und mitunter so wichtig, dass wir das erst als Erwachsene schaffen die zu verarbeiten. Wenn man selbst Kinder hat, dann erlebt man die eigenen Kinder ja immer wieder in Momenten, die man auch schon durchlebt hat, als Kind. Und manchmal ist das dann so; wenn zum Beispiel dein Sohn eingeschult wird, ok krass das erinnert mich jetzt an meine eigene Einschulung. Dann denkst du halt darüber nach, aber du hast halt 30 Jahre gar nicht daran gedacht. So wird das dann auf einmal zu einem wichtigen Thema und so ist das bei dem Song dann vielleicht auch gewesen.

Du bist Vater von drei Kindern, deine älteste Tochter ist jetzt 13 Jahre alt. Inwieweit machst du dir aufgrund deiner eigenen Erfahrungen Sorgen über das Aufwachsen in Berlin?
Ich glaube, die Welt wie sie so ist – die Welt kann sehr gut sein zu einem, oder sie kann halt sehr schlecht sein – das kann man sich nicht aussuchen. Es ist aber nicht verkehrt auf manche Sachen auch irgendwie vorbereitet zu sein. Auch wenn das nicht schön ist zu sehen, wie die eigenen Kinder schon ganz jung so negativen Sachen exponiert sind.
Das ist also ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite will man die eigenen Kinder immer vor schlechten Einflüssen beschützen, auf der anderen Seite ist es ganz gut, wenn sie schon relativ früh lernen, dass es auch Leute gibt, die schädlich für einen sein können.

Du greifst im Song exemplarisch Spiegel TV für ihre Berichterstattung, u.A. zum Thema Clans in Berlin, an. Was stört dich an dem Format?
Vielleicht ist das missverständlich. Ich habe natürlich nichts gegen Journalisten oder Presse an sich. Ich bin auch immer großer Spiegel Fan. Es gibt einige Journalisten beim Spiegel, die ich sehr schätze. Aber ich finde speziell Spiegel TV hat oft etwas sehr Reißerisches.
Die Berichterstattung von Spiegel TV zum Thema arabische Clans in der Hauptstadt emfpinde einerseits als profan – jedes Schulkind in Berlin weiß, dass du dich nicht mit Typen anlegst mit bestimmten Nachnamen, andererseits als problematisch: Hier werden Menschen in Sippenhaft genommen. Niemand kann was für kriminelle Mitglieder der eigenen Familie, wenn die Berichterstattung von Spiegel TV dazu führt, dass normale Berliner Freunde keine Wohnung bekommen, weil der Vermieter was über deren Nachnamen gehört hat und denkt, die Studenten wären hochkriminelle Schwerverbrecher, dann verhindert das genau das, was Ziel sein sollte: Das zusammenkommen zu einer vielschichtigen Gesellschaft wo jeder die gleichen Chancen hat.
Das finde ich journalistisch nicht sauber. Und das ist nicht der Standard, den ich an den Spiegel anlege, den ich und so viele normalerweise für großartigen Investigativjournalismus geschätzt haben.

Auch im Song Kleine Stiche geht es um soziale Konflikte. Kommt das ebenso aus deinem eigenen Erleben?
Dieser Song ist nicht aus der Ich-Perspektive geschrieben. Da geht es mir darum exemplarisch über jemanden zu schreiben der Ausgrenzung erfährt. Dieses Gefühl von Ausgrenzung, oder das Gefühl von irgendwelchen Leuten nicht akzeptiert zu werden, das ist etwas das ganz viele Leute aus ganz unterschiedlichen Gründen erfahren. Natürlich habe ich das auch selbst erfahren und fühle das
immer noch manchmal.

Worum wird es sonst gehen auf deinem Album?
Das Album heißt ADHS, weil ich glaube, dass das meine Generation als auch die jetzige Generation sehr gut beschreibt. Es geht eigentlich um die Auswirkungen davon, was die aktuelle Zeit mit den Menschen macht. Sowohl mit dem Menschen als Gesellschaft, aber auch mit dem Individuum. Heutzutage ist alles sehr schnell. Die Welt beschleunigt sich immer weiter und alles verändert sich auch immer schneller. Paradigmen werden gebrochen und auf einmal ist so ein Typ wie Trump Präsident. Bevor der Präsident war, haben alle gesagt, dass das niemals klappen wird, dass so ein Typ der mächtigste Mann der Welt wird. So ist das mit vielen Sachen, was wir so als Kinder in den 80er und 90er Jahren als unveränderbar wahrgenommen haben, wurde mittlerweile aufgebrochen.
Heute hast du überall wieder Faschisten, nicht nur in Deutschland, und die sitzen nicht nur in den Parlamenten, die sind eben auch teilweise an der Regierung. In den USA oder Polen werden Abtreibungen in Frage gestellt, die Trennung von Kirche und Staat, die in vielen westlichen Ländern lange Teil der Verfassung war, wird in Frage gestellt, weil religiöse Ansichten als gesetzlicher Standard reimplentiert werden sollen.
ADHS ist eine immer häufig diagnostizierte Krankheit und man muss sich schon fragen, wo das eigentlich herkommt. Kann es sein, dass durch diese Zeit erst entstanden ist, die dich zwingt, ultraschnell Dinge, die du als gegeben angenommen, hast zu verwerfen?

Kann man das so verstehen, dass du quasi der Gesellschaft
ADHS diagnostizierst?

Ja, vollkommen, auf jeden Fall den letzten paar Generationen. Das passiert mit uns als Kollektiv, aber auch mit jedem Einzelnen. Wie soll man auch für all die Sachen, die heutzutage auf einen einprasseln überhaupt noch Aufmerksamkeit aufbringen? Es ist einfach so viel und in einer sehr hohen Frequenz, das ist ganz schwierig das alles überhaupt noch zu verarbeiten.
Wenn du auf Instagram immer nur zugeballert wirst mit diesen Botschaften: „Ich bin schön“, „Ich habe Erfolg“, „Ich bin reich“ und immer mit der Klammer: „Mehr als du“, also „Ich bin reicher, schöner, erfolgreicher und ich habe mehr Freunde als du“, das affektiert uns schon als Gesellschaft. Grad wenn viele junge Leute den Eindruck haben, dass sie da irgendwie mithalten müssten. Das stellt unerfüllbare Anforderungen an die Leute und die werden dann irgendwie hektisch oder hyperaktiv. Da ruft dann einer was vom schnellen Geld, passivem Einkommen und Bitcoin und NFTs und die kriegen Angst was zu verpassen.

Was sind denn deine Wünsche für die Zukunft? Was denkst du sollte passieren?
Viele Leute sehen nur das Schlechte und verlieren sich im Doom-Scrolling. Es ist gerade sehr leicht dadurch in eine „Es bringt sowieso alles nichts mehr“-Haltung zu verfallen. Aber eigentlich sind wir an einem Punkt, wo wir als Menschheit uns dringend auf ein gemeinsames Ziel fokussieren müssen. Wenn wir jetzt nicht unseren Arsch hochkriegen, dann wird in Zukunft die Welt so wie wir sie jetzt kennen nicht mehr existieren. Dann werden so krasse Naturkatastrophen und Hungersnöte kommen, mit denen werden Kriege einhergehen. Es wird also sehr turbulent werden, wenn wir nicht diese Klimakatastrophe, zumindest so gut wie wir das können, abschwächen. Wir müssen Lösungen finden für Energieversorgung, Ernährung und vor allem für eine faire Distribution davon. Das Ausmaß der Disparität zwischen reichen und armen Regionen war noch nie so groß wie heute. Es gibt eigentlich kein anderes Thema was in den nächsten 20 Jahren
daneben wichtig ist.

Was mich als Plattensammler interessiert: Deine Alben sind bislang alle nur in limitierter Stückzahl auf Vinyl erschienen und begehrte Sammlerobjekte. Kommt das für dich in Frage Alben nochmal neu aufzulegen?
Ich möchte das auf jeden Fall machen. Ich habe mich auch während Corona nochmal richtig mit dem Thema Vinyl auseinandergesetzt und bei dem kommenden Album habe ich mir daher auch echt Mühe gegeben, dass die Vinylpressung bestmöglich klingt. Die letzten zwei Jahre habe ich mich da richtig reingefuchst, um zu gucken, was ich da noch besser machen kann und da wird es in Zukunft definitiv auch noch ein paar Re-Releases geben. Die Auflage ist auch diesmal deutlich höher als bislang, einfach damit es nicht ganz so schnell ausverkauft ist. Wir machen eine farbige Vinyl die es im Bundle mit dem Shirt gibt und noch eine „normale“ in schwarz.
Außerdem möchte ich noch Sachen, die es noch nie auf Vinyl gab, endlich so rausbringen. Das ist zum Beispiel Teenage Mutant Horror Show 2, das ist für mich persönlich eins der wichtigsten meiner Alben.

 

„Das Ausmaß an Disparität zwischen reichen und armen regionen war noch nie so groß wie heute.“

 

Du hast ja in deiner Musk immer auch den Kontakt zu jungen Talenten gesucht und hattest anscheinend immer auch ein Ohr für den Nachwuchs. Wer sind grad deine Lieblings-Newcomer?
Viele Leute, die ich krass finde, habe ich natürlich auch auf meinem Album drauf. Für mich ist Kidd (früher Sierra Kidd), aktuell vielleicht der beste Künstler in Deutschland. Der ist nicht nur selbst ein krasser Rapper er hat auch immer selber andere Leute entdeckt und gefördert. Wavvyboi macht für mich was ganz Spezielles und Besonderes, was es so auch vorher noch nicht gab. Da geht es viel um das Gesamtkonzept aus Musik und dem Visuellen, das finde ich sehr spannend. Liz ist für mich die krasseste Rapperin. Die finde ich sehr authentisch und sehr bissig. Die ist für mich alles, was Rap in seiner Reinform ausmacht. Die stellt sich an das Mikrofon und beginnt zu erzählen und du willst da einfach zu hören, musst ihr zuhören. Das macht sie auf eine Art und Weise, dass sie damit ganz unterschiedliche Leute erreicht. Das ist eigentlich eine der tollsten Sachen, die du mit deiner Musik erreichen kannst, dass du aus deiner eigenen Nische erzählst, in deinem eigen Slang und du schaffts, dass auch Leute die das alles vorher gar nicht kannten sich dafür interessieren. Das hat davor zum Beispiel Haftbefehl schon geschafft und da sehe ich Ähnlichkeiten.

Vielen Dank für das Gespräch, ich freue mich aufs Album!
Ich danke dir.

 

Fotos FRITZ

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Steffen Tatz

Geschrieben von Steffen Tatz

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