Saturday Night Fever

Corona und Clubs – was ist passiert im letzten Jahr, was geht mit 2G und was kommt im Winter? Unser Interview-Rundumschlag mit Club- und Kneipenbetreibern geht nach einem Jahr in die zweite Runde.

Die Braunschweiger Kneipen und Clubs waren am Boden, kurz bevor im Herbst 2020 die Novemberhilfen zugesagt worden. Wenige Wochen zuvor hatten wir mit einigen Betreibern in einem kleinen Rundumschlag über deren Sorgen und Nöte in dieser existenzbedrohenden Zeit gesprochen. Was ist seitdem passiert? Wie ist die Situation heute?

 

Nachdem die Coronahilfen geflossen sind und das Bestehen der Betriebe vorerst gerettet werden konnte, stehen die Nightlife-Gastronomen nun vor ganz anderen Problemen: Seit einigen Monaten darf wieder geöffnet werden, aber das nur unter strengen Auflagen und mit immer wieder wechselnden Bestimmungen. Aktuell zerbrechen sich Deutschlands Clubgänger und Betreiber an der 2G/3G-Diskussion den Kopf: Einlass für Geteste, Geimpfte und Genese, aber nur streng mit Maske und Abstand oder eben ohne Maske und Abstand, dafür aber nur Geimpfte und Genesene. Niedersachsens Clubs dürfen frei entscheiden, welche Variante sie wählen. Das Land wälzt diese spaltende Debatte also auf den Einlass ab, wo Gäste mit Türstehern diskutieren und streiten, wo ein Teil, der noch nicht durchgeimpft ist oder sich nicht impfen lassen möchte, draußen bleiben muss. Hinzu kommt, dass es ab dem 11. Oktober vorbei sein wird mit den Gratis-Tests für alle. Auch der Winter steht vor der Tür, der eine starke nächste Welle vermuten lässt, während gleichzeitig weniger Außenkapazitäten zur Verfügung stehen. Dabei sind es gerade die kalten Monate, in denen die Clubs eigentlich brummen müssten …

Tim Lemke
seit über 20 Jahren Geschäftsführer der Strauss & Lemke GmbH (betreibt zusammen mit Oliver Strauss 42° Fieber, Lindbergh ­Palace, Stereowerk, Eulenglück u. a.)

Tim, vor einem Jahr hast du uns gesagt: „Wir [Clubbetreiber] sind halt scheißegal, entbehrlich, nicht relevant“ – wie denkst du heute darüber?
Dazu steh ich nach wie vor und das würde ich auch ohne Corona behaupten. Ärzte sind wichtiger als wir – sogar Müllleute. Club ist ein totales Luxusprodukt und so ernst nehme ich mich auch nicht. Aber ohne Frage hätte man sich seit Beginn der Pandemie besser um uns kümmern können. Ein paar Sachen sind ja auch passiert, aber in meinen Augen hätte viel mehr gemacht werden können – mehr Unterstützung, mehr Entgegenkommen, zum Beispiel mit Ausnahmegenehmigungen. Fußball hingegen war offensichtlich nicht entbehrlich … Vieles ist auch einfach mit zweierlei Maß und ungerecht bewertet worden.

Haben euch die Coronahilfen letztlich gerettet?
Bis 2020 die Novemberhilfen zugesagt wurden, hing alles wirklich auf der Kippe und war total unentspannt. Jeder wollte weiter Geld haben und hat weiter abgebucht, obwohl einfach überhaupt gar nichts mehr da war. Da waren enorme Kosten auf uns zugelaufen, gerade bei einem so großen Betrieb mit Krediten, Festangestellten, Mieten … Das war schon hart. Unabhängig davon, wie viel Geld man vorher hatte, war das eine beschissene Zeit und eine neue Situation und ich möchte mit Sicherheit nicht in eine Opferrolle fallen, aber es ist schon ernster gewesen, als man meinen möchte. Letztes Jahr Silvester bin ich durch die Straßen gefahren und habe geheult. Im Januar hätte ich mir noch vorstellen können, alles abwickeln zu müssen, weil wir es einfach nicht schaffen. Dann kamen Mitte Februar endlich die Hilfen und man konnte alles einigermaßen ausgleichen.

Was ist seitdem passiert?
Zum einen sind die Hilfen noch besser geworden, also mehr Kosten wurden mit der Zeit übernommen, was gut ist, aber auch nötig, denn wir können zwar wieder aufmachen, aber auch nur unter sehr verschärften Bedingungen mit erhöhten Kosten. Dass wir nun wieder arbeiten können, ist aber in jedem Fall gut, da wir ganz vielen jungen Leuten viel Freude zurückgeben können und weil wir dadurch wieder in ein geregeltes Arbeitsleben einsteigen konnten, Personal rekrutieren konnten und so weiter … Finanziell hat das Schiff heute zwar noch nicht wieder Fahrt aufgenommen, aber es ist zumindest wieder seetüchtig. Wir konnten schon im Juni wieder loslegen, was uns netterweise Paul Kunze und Marco Bittner im Wolters Applaus Garten ermöglicht haben, die uns dort aufgefangen, gut behandelt und uns Hoffnung gegeben haben. Das war für unsere Firma und vor allem für mich persönlich sehr wichtig. Wir haben gesehen: Man kommt aus dieser Situation vielleicht mit einem blauen Auge davon und es geht irgendwie weiter.

Bist du mit den Hilfen zufrieden?
Die Hilfen kamen wirklich im letzten Moment und waren erstmal ausreichend, auch wenn sie natürlich auf unbestimmte Zeit gut eingeteilt werden müssen. Aber von zufrieden kann man da nicht sprechen. Ich hatte schließlich ein Berufsverbot und die Hilfen stehen in keinem Verhältnis zu den Gewinnen, die wir hätten machen können, wenn wir hätten durcharbeiten können. Außerdem hätte man den ganzen Stress nicht gehabt und sich nicht so kacke gefühlt.

Was sind aktuell eure größten Probleme?
Letzten Sommer durfte man nicht tanzen, nicht in Gruppen stehen, fast gar nichts. Das ist in diesem Jahr anders. Es geht wieder los und in die richtige Richtung, auch wenn wir noch Leute ausschließen müssen, bei uns zu feiern. Für uns müssen nun also so viele wie möglich durchgeimpft sein. Ein anderer ganz großer Punkt ist, dass es an den Unis wieder losgehen muss. Man spürt, dass die Studenten nach wie vor fehlen. Auch das Ausgehverhalten hat sich geändert. Viele Gäste sind weggebrochen: Manche haben keinen Bock mit Maske zu feiern, andere wollen sich nicht der Gefahr einer Ansteckung aussetzen, wieder andere sind rausgewachsen oder haben für sich festgestellt, dass sie lieber sonntagmorgens in den Harz fahren, als sich samstagnachts in der Disco abzudichten. Alles hat sich verändert und die Karten sind neu gemischt worden.

Denkst du, 2G ist für Clubs jetzt der richtige Weg?
Ich fand es eigentlich gut, als Spahn gesagt hat: „Wenn wir allen ein Impfangebot gemacht haben, können wir zur Normalität zurückkehren.“ Ich finde, wer dann das Risiko eingeht, ungeimpft in den Club zu gehen, fällt eine freie Entscheidung und es ist am Ende auch sein Problem, wenn er sich ungeimpft ansteckt. Wenn das aber durch 2G reglementiert wird, dann dürfte eigentlich auch keiner mehr Motorrad fahren oder Skilaufen – dann müsste alles, was riskant ist, eingeschränkt werden. Da könnte ich eine Impfpflicht eher verstehen. Und ich möchte den Leuten am Ende nicht sagen müssen: Ihr dürft nicht rein.

Wälzt die Politik diese Debatte auf euch ab?
Ich habe in letzter Zeit häufig selbst bei 3G an der Kasse in der Eule gesessen und viele unserer jungen Gäste gefragt, ob sie schon geimpft sind. Und ganz viele haben jetzt erst angefangen mit impfen. Für die dauert es also nochmal zwei Monate, bis sie fertig sind. Andere wiederum haben gar nicht vor, sich impfen zu lassen. Ich habe unsere Gäste sonst immer in meinem Herzen und nun muss ich sie abweisen? Die Politik wälzt die Debatte absolut auf uns ab. Wir müssen jetzt gewissermaßen einen Impfzwang durchsetzen. Klar, man muss auch sagen, dass die Gäste zum Teil selbst dran schuld sind, wenn jetzt überall 2G durchgesetzt wird – sie hätten ja auch im Club alle ihren Masken aufbehalten können. Aber irgendwie ist es auch eine Utopie zu meinen, dass 18-, 19-, 20-Jährige um drei Uhr nachts singend und tanzend mit Alkohol im Club eine Maske tragen. Viele Jugendliche wollen auch nicht mehr, die stehen eng beeinander, vielen sind die Regeln am Ende egal. Und wir sollen diese Regeln durchsetzen – mit höheren Personalkosten, weniger Gästen, Umsatzeinbußen und so weiter. Da hätten die Behörden irgendwo auch sagen können, ihr bleibt lieber noch eine Weile zu, wir gehen auf Nummer sicher und impfen noch ein bisschen.

Empfindest du die Möglichkeit, öffnen zu können, auch als Unterstützung?
Ich bin zumindest froh, dass wir uns nun wieder am Markt platzieren können und ich denke auch, dass ich den jungen Leuten gegenüber eine Verantwortung habe. Die kommen jahrelang bei uns feiern und machen unsere Jobs und unser Leben möglich und im Gegenzug muss ich den Jugendlichen diesen Platz, an dem sie sich ausleben können, auch bieten, wenn ich das kann, auch wenn es aufwändiger ist als sonst.

Kai Fahim
seit November 2006 Betreiber und ­Pächter der Silberquelle

Kai, was hat sich inzwischen bei euch getan?
Wir haben die Zeit der Schließung genutzt und renoviert, aufgehübscht. Die Hilfen, die gekommen sind, mussten ja auch investiert werden. Im Gegensatz zu anderen hatten wir mit dem Personal eher keine Probleme, da die meisten bei uns unter der Woche feste Jobs haben und sich nicht neuorientieren mussten. Nur einen Mitarbeiter habe ich nach 17 Jahren verloren, der nach monatelanger Pause gemerkt hat, wie schön es ist, am Wochenende frei zu haben. (lacht)

Was waren bisher eure größten Probleme?
Eigentlich war alles gut, keine wirklich großen Probleme. Meine Vermieterin ist mir zu Beginn der Pandemie entgegengekommen und schon seit 4. Juni haben wir wieder geöffnet. Da waren wir gerade mit dem Renovieren fertig und es ging mit dem Wetter wieder nach vorne. Ich konnte nach den anstrengenden Umbauarbeiten, wo ich eine sechs-Tage-Woche hatte, sogar noch eine Woche Urlaub machen und durchatmen. Und ob man nach sieben Monaten Zwangspause zwei Wochen früher oder später wieder aufmacht, macht den Kohl auch nicht mehr fett.

Wie läuft es seit der Wiedereröffnung?
Durch die neuen Regeln dürfen wir nun weniger Leute reinlassen. Dadurch hat sich aber auch die Verweildauer unserer Gäste verändert. Sie bleiben länger, damit sie nicht wieder hinten anstehen müssen oder gar nicht mehr reinkommen, wenn es zu voll wird. Es kompensiert sich etwas. Aber die Regeln umzusetzen, ist einfach anstrengend: kontrollieren, hinterherlaufen – Impfnachweis, Tests, Maskenpflicht, Luca-App, 50 Prozent. Dafür braucht man zusätzliche Türsteher, wodurch sich da die Kosten für mich erhöhen. Aber diese Kosten wälze ich ja nicht auf die Gäste um.

Bist du zufrieden, wie das mit den Corona-Hilfen alles gelaufen ist?
Ja, auch wenn alles natürlich ganz schön gedauert hat. Die November-Hilfen kamen erst im März. Aber das Geld ist angekommen und alles ist gut gelaufen. Ich bin froh, dass ich in diesem Land leben darf. In anderen Ländern gab es gar nichts und hier jammern sie auf hohem Niveau.

Wie stehst du zur Diskussion „2G/3G“?
Es ist natürlich schwierig, wenn manche draußen bleiben müssen … Es kann aber natürlich auch nicht sein, dass die Minderheit, die sich nicht impfen lassen will, nun die Mehrheit diktiert. Das kann ja nicht richtig sein. Wenn diese Leute sagen, ich weigere mich, will aber trotzdem an allem teilhaben – das haut ja nicht hin. Wir machen in der Silberquelle erstmal weiter 3G und dann schauen wir, wo die Reise hingeht. Hier ist es mit der Maskenpflicht und den Abständen ja auch überschaubar und kontrollierbar. Die großen Läden, die verwinkelt sind, haben da ganz andere Probleme. Da verkriechen sich die Gäste irgendwo in den Ecken und machen, was sie wollen. Wie viele Leute, die alles kontrollieren, soll man denn da einstellen? Wer soll das finanzieren? Da kann man auch zu bleiben. Und wenn bald überall 2G durchgesetzt wird, dann ist das so. Was willst du da machen? Von unseren Gästen sind auch schon viele durchgeimpft, das merke ich ja.

Wie gehst du mit dem Ärger der Leute um?
Es gab zwischendurch auch Ärger mit Gästen, die sich nicht impfen oder testen lassen wollten und mir dann blöd kommen und hier rumpöbeln. Dabei versuche ich doch bloß, bestehende Regeln umzusetzen. Am Ende trage ich aber auch die Verantwortung für die Gäste und meine Mitarbeiter. Vielleicht trägt einer das Virus in sich und weiß es nicht und ich steh dann hier und muss mich anpaulen lassen und habe nachher aber noch das Problem an der Backe. Da braucht man gar nicht zu diskutieren. Wir leben nunmal gerade in so einer Zeit und recht machen kann man es sowieso nie allen – auch vor Corona schon nicht. Für Diskussionen habe ich auch gar keine Zeit.

Ist das von der Politik vielleicht alles etwas zu kurz gedacht?
Also diejenigen, die diese ganzen Regeln aufstellen, haben von der Umsetzung keine Ahnung – denn die betreiben ja keinen Laden.

Mit welchem Gefühl blickst du dem bevorstehenden Winter entgegen?
Da ist unser Problem natürlich die Größe. Mit Abstandsregel krieg ich hier 15 Leute rein und dann ist Feierabend. Wenn es für den Außenbereich zu kalt ist, geht dann schon fast nichts mehr. Bisher war es im Winter aber auch immer okay. Sogar auch ohne Heizstrahler. Es kommt einfach drauf an, wie das Wetter wird. Die vergangenen Winter waren ja insgesamt relativ mild. Das ist halt die große Unbekannte. Es bleibt spannend.

Glaubst du, dass nochmal ein Lockdown kommt?
Ich glaube nicht. Das wird einfach zu teuer. Und die Leute würden irgendwann auch richtig auf die Barrikaden gehen. In diesem Jahr ist es aber auch anders als im letzten. Es hat sich ja viel getan. Inzwischen sind ja auch über 60 Prozent durchgeimpft.

Wird sich durch Corona noch viel in der regionalen Club- und Kneipenszene verändern?
Ich denke, alles bleibt erstmal so, wie es ist. Alle haben ihre Hilfen gekriegt und sind in trockenen Tüchern – je nachdem, was man halt vorher verdient hat. Es kann natürlich passieren, dass mancher mit der Schlussrechnung der Hilfen Probleme bekommen wird. Die kommt ja irgendwann. Die wollen natürlich wissen, wo das Geld hingegangen ist, dass man sich dafür kein Boot gekauft hat oder so und es kann passieren, dass sie sagen: Gib mal Summe X zurück. Was zurücklegen sollte man sowieso, denn es kommen schließlich noch Steuern auf diese Einnahmen. Und wer das Geld dann verblasen hat, den kann‘s zerreißen. So weit im Voraus denken viele auch gar nicht.

Was forderst du von der Politik?
Soweit ist alles in Ordnung. Aber es wäre schön, wenn die Maßnahmen und Regeln bald irgendwann auch mal wieder aufgelöst werden, damit wir wieder normal arbeiten können.

Mathis Nanninga
seit fünf Jahren Betreiber der Klaue Bar

Mathis, vergangenes Jahr hast du uns berichtet: „Wir haben seit März [2020] geschlossen! Das schmerzt, aber wir haben Verständnis dafür!“ – wie denkst du heute darüber? Hast du noch immer Verständnis für die Regelungen? Was ist inzwischen passiert und was hat sich verändert?
Im Grunde sehe ich die meisten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie natürlich immer noch als wichtig und sinnvoll an. Mein Verständnis oder besser meine Geduld sind langsam aber sicher am Ende. Allerdings eher in Bezug auf den Teil der Bevölkerung, der die Impfquote aus größtenteils schwachsinnigen Gründen zu niedrig hält und somit das Leben aller anderen weiterhin einschränkt. Das ist wohl die Definition von „unsolidarisch“.

Warum habt ihr euch bisher dagegen entschieden, den Betrieb wieder aufzunehmen und die Klaue wiederzueröffnen?
Öffnen konnten wir bis jetzt nach der neuen Verordnung noch nicht. Für unsere Barfläche war da keine ansatzweise sinnvoll umsetzbare oder rentable Lösung dabei. Das war uns aber schon Anfang des Jahres relativ klar. Auch, dass die Impfquote entscheidend sein wird, denn ansonsten lief der Sommer ja wie im letzten Jahr. Und einen Außenbereich oder eine andere Möglichkeit haben wir natürlich immer noch nicht. Da war auch nix mit Sonderplätzen draußen aufgrund der Verkehrslage und des zu schmalen Bürgersteigs zu machen. Nebenbei kam noch eine große Baumaßnahme dazu. Das zweite Mal musste eine komplette Außenwand erneuert werden. Eine langwierige Sache – aber lieber in der Zeit der Schließung als zur Öffnung! Wir konnten aber neben ein wenig Außer-Haus-Verkauf glücklicherweise ein, zwei Aktionen wie unsere Quiznight oder das Klaue-Bingo bei unseren Freunden vom Nexus und dem Skateboardclub Walhalla veranstalten. Außerdem hatten wir die Möglichkeit, auf dem Südstadt Open Air mit einem Klaue-Stand vertreten zu sein. Das hat ein wenig dabei geholfen, die laufenden Kosten weiterhin zu decken und uns vor allem moralisch und seelisch über den Sommer gerettet. Denn endlich konnten wir wieder mit vielen unserer Gäste quatschen, trinken, diskutieren und lachen und naja, einfach zusammen sein.

Wie steht ihr zu den Öffnungsmöglichkeiten, die die Politik gegeben hat und gibt? Habt ihr das eher als Hilfe und Unterstützung oder als Restriktion und Tadel empfunden?
Im Großen und Ganzen denke ich, dass da in vielerlei Hinsicht richtig gehandelt wurde. Manchmal vielleicht etwas zu vorschnell, an anderer Stellen vielleicht etwas zu vorsichtig. Und es wird aus jeder Branche Menschen geben, die etwas zu meckern haben, das ist ja klar. Es wäre ja toll, wenn es auch einfach möglich gewesen wäre, einen „Freedom Day“ wie in UK festzulegen und das Leben ohne irgendwelche Maßnahmen wieder zu genießen. Aber diese Freiheit wurde da auch mit einer Riesenzahl an Menschenleben und Long-Covid-Erkrankungen erkauft. Also ist eine gewisse Vorsicht schon immer noch geboten.

Seid ihr mit den Hilfsfonds und der Unterstützung der Politik zufrieden? Kamen die Entscheidungen rechtzeitig oder zu spät?
Zufrieden? Keine Ahnung. Ich bin natürlich froh, dass es Finanzhilfen gab, auch wenn sie erst recht spät eingetrudelt sind und lange nicht alle anfallenden Kosten decken konnten. Für die Klaue hat es irgendwie gereicht, aber eher weil unsere Gäste uns seit eineinhalb Jahren unterstützen wie die Verrückten! In Bezug auf die Öffnungen denke ich, dass viele Gastronomen einen ziemlich guten Sommer hatten. Da sollte sich eigentlich keiner großartig beschweren, auch wenn da sicher viel Arbeit und Umstellung dahintersteckte. Und wenn wir uns die Club-, Konzert- und Kulturbranche angucken, geht es da ja auch, wenn auch schleppend, wieder aufwärts.

Wie steht ihr zur Diskussion, mit 2G oder 3G zu öffnen? Findet ihr, die Politik wälzt diese Debatte auf euch ab?
2G! Vor allem für den Herbst und Winter, wenn die Möglichkeiten draußen rumzuhängen naturgemäß weniger werden und wir uns alle wieder mehr in den Innenräumen der Bars, Restaurants et cetera aufhalten. Die 2G-Bedingungen stellen für mich das erste plausible Szenario dar, mit dem eine Bar oder ein Club, in der es keine feste Sitzplatzzuweisung gibt, wieder einigermaßen normal funktionieren kann. Zudem: Es gibt einfach nur einen wirklich minimalen Prozentsatz an Menschen, die einen triftigen, medizinischen Grund haben, sich nicht impfen zu lassen. Natürlich ist es allen freigestellt, ob sie das wollen oder es lassen, aber wenn du es nicht tust, musst du eben mit Einschränkungen rechnen … Und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit wirst du dich mit Covid infizieren.

Mit welchem Gefühl blickst du auf den bevorstehenden Winter hinsichtlich Öffnungen und nächster Corona-Welle?
Irgendwie wurde nach den ersten Sonnenstrahlen im Mai und Juni vergessen, wie es im letzten Jahr lief. Das war schon ein wenig erschreckend zu beobachten. Aber natürlich sind wir in diesem Jahr besser geschützt, weil wir eben die Impfstoffe haben. Wie gesagt denke ich, dass mit der 2G-Regel in Clubs und Bars gut gearbeitet werden kann. Dass auch dieser Winter für die Gastronomie (und auch alle anderen) kein „normaler“ sein wird, ist leider die traurige Wahrheit. Aber ich denke, ein kompletter Lockdown wird durch alle gegebenen Maßnahmen verhindert werden können.

Was willst du noch loswerden?
Die Klaue macht endlich wieder auf! Ab Oktober sind wir, zunächst zumindest an den Wochenenden, wieder für euch da – mit der 2G-Regel. Für genaue Infos, checkt einfach unsere Kanäle bei den sozialen Medien. Natürlich bin ich nicht mit allem zufrieden – aber wie sollte das auch gehen?! Wir müssen da zusammen weiter anpacken und vor allem verstehen, dass es ein anhaltender, langwährender Prozess ist. Niemand hat die eine goldene Lösung parat, die alle zu hundert Prozent zufrieden stellt. Und ein riesiges Dankeschön an alle, die die Klaue in den letzten knapp zwanzig Monaten auf irgendeine Art und Weise supportet haben.

Michael Ehrke
seit drei Jahren Leiter der Kunst- und ­Kultursparte des KuK BS e. V. (Laut Klub)

Michi, vergangenes Jahr hast du uns berichtet: „Man braucht eine Perspektive, aber die fehlt total. Es ist kein Morgen in Sicht“ – wie denkst du heute darüber?
Unser Verein befand sich in einer existenziellen Krisensituation, die wir zu überstehen hatten. Bis heute haben wir eine Menge Hürden durch die Politik zu nehmen, vor allem aufgrund der sich immer wieder ändernden Verordnungen. Politiker:innen haben wirklich eine sehr verantwortungsvolle und schwere Aufgabe in dieser Zeit. Grundsätzlich sehen wir aber wieder Licht am Ende des Tunnels und ich bin optimistischer als noch vor einem Jahr.

Ihr konntet in der Zwischenzeit den Laut Klub wieder öffnen. Hat es sich gelohnt?
Wir haben natürlich einiges an Auflagen, die erst einmal berücksichtigt werden müssen und uns viel zusätzliche Absprachen und Arbeit bescheren. Wir mussten an gewissen Stellen umbauen, zusätzliche Sicherheitskräfte einstellen, Lüftungen ergänzen. Insgesamt hat es sich gelohnt, weil einfach alle super glücklich waren, dass es wieder losgeht. Teilweise hatten die Leute bei der Wiedereröffnung Tränen in den Augen – es war also auch sehr emotional und schön. Wir hatten ja im Sommer drei Wochen mit einer Inzidenz unter zehn, sodass wir durch das geltende Gesetz den Clubbetrieb wieder eins zu eins wie vor der Pandemie öffnen konnten. Diese Zeit war auf jeden Fall unglaublich wertvoll, auch fürs Team.

Wie habt ihr ansonsten die Zwischenzeit genutzt?
Wir haben den diesjährigen Kultursommer für Braunschweig organisiert. Unter dem Namen „Savoir Faire“ konnten wir ein sechswöchiges, kostenloses Open-Air-Kulturprogramm für die Bürger:innen im zukünftigen Bahnstadtquartier anbieten – die Organisation und Umsetzung war recht kraftaufwendig. Ansonsten haben wir hier vor Ort mit dem lang geplanten Studioausbau begonnen, den Main Floor umgestaltet und soundtechnisch nochmal aufgestockt. Neben dem Club betreiben wir nun einen eigenständigen Galerieraum, in dem regelmäßig Kunstausstellungen stattfinden. Wir haben auch endlich eine Homepage, welche von Vereinsmitgliedern entworfen wurde. Wir haben also viele Sachen gemacht, die sonst während des normalen Clubbetriebs immer ein bisschen auf der Strecke bleiben. Grundsätzlich haben wir die Zeit gut genutzt und alles dafür getan, den Klub weiterzuentwickeln und zu optimieren.

Wie steht ihr zur Diskussion 2G oder 3G?
Wir haben da online vereinzelte kritische Stimmen erhalten, aber insgesamt steht der Großteil unserer Community hinter der Entscheidung des Vereins für 2G. Wir haben das sehr lange und sehr kontrovers diskutiert und da gibt es natürlich verschiedene Perspektiven. Ein klares Richtig und Falsch gibt es zurzeit nicht. Grundsätzlich stehen für uns die Sicherheit und Gesundheit unserer Gäste und Mitarbeiter:innen sowie der Fortbestand des Projekts Laut Klub an erster Stelle. Aus unserer Erfahrung vom Sommer mit 3G sowie der zusätzlich verschärften Gesetzeslage für Veranstaltungen sind für uns die geltenden Auflagen nicht mehr sicher umsetzbar. Die Menschen halten sich leider nicht immer an das Tanzen mit Maske, was auch vollkommen nachvollziehbar für mich ist. Mehrere Stunden mit Maske feiern ist einfach realitätsfremd und führt nicht zu einem angenehmen Cluberlebnis. Bei uns soll man die Welt draußen vergessen können. Und zum Wohle dessen sowie der Gesundheit unserer Gäste haben wir uns schweren Herzens dann also für die 2G umentschieden – vollkommen wissentlich, dass wir damit leider einen Teil unserer Community ausschließen müssen. Das ist etwas, was wir absolut nicht befürworten, uns aber die Hände durch Politik und Pandemie gebunden sind.

Die Politik wälzt diese Debatte also auf euch ab?
Für uns gibt es nicht wirklich eine Wahl. Die Alternative und damit einhergehenden Maßnahmen und Auflagen sind für unseren Clubbetrieb realitätsfremd und nicht einzuhalten. Zu fordern und zu kontrollieren, dass die Leute in unserem Klub zehn Stunden lang eine Maske tragen und sich an Abstandregeln halten sollen, ist für uns Irrsinn. Mit der 2G-Regelung hatten wir nun beispielsweise kürzlich unser Hoffest, wobei wir die Erfahrung gemacht haben, dass die Gäste völlig unbeschwert und wieder wie früher feiern konnten und das ist unser Anliegen. Ich hoffe darauf, dass die Politik nochmal Anpassungen in der 3G-Regelung vorsieht, damit alle Menschen wieder diese Freiheit genießen können, selbstständig zu entscheiden, ob sie geimpft sein möchten – und sich gegebenenfalls eigenverantwortlich dem Risiko eines einschränkungsfreiem Clubbesuchs aussetzen möchten. Das ist zurzeit nicht möglich.

Mit welchem Gefühl blickst du auf den Winter?
Ich hoffe sehr, dass die Impfungen letztlich dazu führen, dass wir keine Intensivbetten mehr belegen und dementsprechend unsere Veranstaltungen „normal“ fortgeführt werden können. Die Veranstaltungsbranche hat es wirklich schwer getroffen, aber ich kann inzwischen sagen, dass es bei uns wieder bergauf geht. Mit dieser Krisensituation mussten wir uns erst mal lange und intensiv auseinandersetzen, ehe man mit Veränderungen und einem gedanklichen Richtungswechsel weitermachen kann. Das haben wir nicht nur geschafft, sondern als Team gut gemeistert. Und damit bin ich persönlich zufrieden.

Was willst du noch loswerden?
Die Gesundheit aller ist wichtiger als der Reichtum einzelner. Ich würde gerne den Blick darauf richten, dass man nicht immer die Dinge aus einer oder seiner eigenen Perspektive sehen kann. Dass man vielleicht auch mal hinaus ins Große denken muss und das Allgemeinwohl anderer, alter und schwacher Menschen bedenken muss – auch wenn es für einen persönlich eine strapazierende und belastende Situation ist. Wir sollten weiterhin gemeinsam versuchen, mit dieser Krise, so wie sie ist, klarzukommen und die Gesundheit zu schätzen. Ich bin froh darüber, dass es uns in Deutschland nicht so hart erwischt hat wie andere Länder.

Max, John & Paul
Initiative „Restart Haifischbar“, seit Juni Betreiber der Haifischbar

Warum ist das Nachtleben so wichtig für die Gesellschaft?
Der Kulturwert, der Unterhaltungswert, die soziale Interaktion – das ist der Schmierstoff der Gesellschaft. Wie viele gute Ideen entspringen an Abenden bei einem Bier an der Theke? Wie viele Bekanntschaften, Freundschaften und Wegbegleiter werden auf der Tanzfläche gemacht? Ohne diese Möglichkeiten fällt auch der Austausch weg. Und damit auch die Vielfalt, die das Leben in der Stadt eben spannend und interessant macht. In unserer Stadt gibt es viele tolle Orte im Nachtleben, die dabei eine wichtige Rolle spielen. Gleichzeitig gibt es hier in der Region viele großartige Kulturschaffende, Künstler und kleine Produzenten von hochwertigen Produkten, die das Angebot so reichhaltig und facettenreich machen. Uns ist dabei wichtig, dass wir diese Lokalverbundenheit auch in der Bar widerspiegeln und damit einen Beitrag für die Stadt und die Region leisten können.

Habt ihr die Bar nicht in einem besonders ungünstigen Moment übernommen?
Es gibt wahrscheinlich keinen ungünstigeren Moment, eine kleine Bar wie die Haifischbar wieder zu eröffnen als während einer Pandemie mit Kontaktbeschränkungen. Deshalb war die Haifischbar auch schon vorher den Sommer über geschlossen. Trotz unsicheren Startbedingungen haben wir uns aber unter dem Motto „Restart Haifischbar“ zusammengefunden. Wir freuen uns sehr, dass wir so viel Unterstützung und Zuspruch für die Wiedereröffnung der Bar erhalten haben und darauf, dass dieser Ort dem Braunschweiger Nachtleben erhalten bleiben kann.

Wie steht ihr zur Diskussion 2G oder 3G?
Es ist erst mal gut, dass es sichere Möglichkeiten für die Öffnung gibt. Es kann aber nicht die Aufgabe von uns sein, die politische Debatte um 2G oder 3G zu führen. Dies muss die Politik leisten.

Wie blickt ihr dem Winter entgegen?
Der Winter wird leider voraussichtlich noch einmal sehr spannend, da haben wir großen Respekt vor. Auch wenn eine erneute komplette Schließung erst einmal unwahrscheinlich scheint, wird es für viele kleine Kneipen und Bars keinen Sinn ergeben, zu öffnen. Die Stimmung im Nachtleben hat sich durch die Restriktionen und Einschränkungen auch verändert. Jedoch merkt man, dass viele einfach wieder Lust haben, abends etwas zu unternehmen und sich mit der Impfung und den zusätzlichen Maßnahmen sicherer fühlen. Nach diesem Winter wird die regionale Kneipen- und Clubszene sicher noch einmal etwas anders aussehen. Aber alle, die es bis hierhin geschafft haben, werden hoffentlich auch die kommenden Monate mit der weiterhin tollen Unterstützung von allen Gästen aus der Region überstehen. Von der Politik möchten wir Verständnis und Unterstützung einfordern. Hier ist aber seitens der Stadt eine positive Herangehensweise zu erkennen. Auch wenn die Briefe aktuell in einem etwas rustikalen Behörden-Ton formuliert sind, werden uns nun aber mittlerweile ganz konkrete Regeln und Anwendungshinweise an die Hand gegeben, was in der Landesverordnung manchmal leider noch Interpretationssache bleibt. Damit können wir alle gemeinsam arbeiten – natürlich immer in der Hoffnung, dass wir die Pandemie und die daraus entstehenden Einschränkungen und Auflagen bald hinter uns lassen können.

Fotos Christian Siebke, Robert Wiebusch, Silberquelle/Kai Fahim,
Mathis Nanninga/KLAUE, KuK-BS e. V., Restart Haifischbar

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Louisa Ferch

Geschrieben von Louisa Ferch

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