Das Kunstprojekt GROSS FORM ART ist im September mit einem Mural am Diskobunker von Stylewriter und Künstler N.O.Madski gestartet. SUBWAY hat die Mitinitiator:innen Christiane Nagel und Christian Siebke zum Interview getroffen.
Ende der 1970er Jahre etablierte sich im Untergrund New Yorks eine Kunstform, bei der das bloße Beschmutzen von öffentlichem oder privatem Eigentum ein legitimes Mittel war, um sich gegen Autoritäten, Staat und Obrigkeiten aufzubegehren. Was einst als illegaler Protest in Großstädten begann und strafrechtlich als Vandalismus gehandelt wurde, ist heute durch Street-Art-Phänomene wie Banksy als Mainstreamkunst anerkannt. Straßenkunst kann vieles sein: Politisch, bunt und abstrakt; surreal, fantasievoll und ästhetisch; geradlinig, werblich und monochrom. Doch vor allem ist sie inklusiv, da sie auch für Menschen zugänglich ist, die in der Regel keinen oder nur begrenzten Zugang zu Kunst haben.
Auch Braunschweig hat eine langjährige Street-Art- und Graffiti-Tradition. Besonders in den 90ern zeigte sich die Löwenstadt mit bunt-besprühten Häuserfassaden und Mauern. Das kreative Straßenkunst-Eldorado befindet sich jedoch vornehmlich im urbanen Westlichen Ringgebiet, das in der Region nicht nur dank der HBK als alternative Kunsthochburg bekannt ist.
Nun soll die großformatige Kunst aber noch näher in das Stadtzentrum rücken. Deshalb haben sich Impulsgeber Christian Siebke, Discotier-Oberhaupt Tim Lemke und die Kreativagentur eventives zusammengetan und das Urban-Art-Projekt GROSS FORM ART ins Leben gerufen, um Braunschweig zu Niedersachsens größter Open-Air-Galerie zu machen.
Urban Gallery
Die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, wie stark der Einfluss von Kunst und Kultur auf die seelische Gesundheit ist. In einer Zeit, in der Museen und Galerien geschlossen bleiben mussten, wäre eine Freiluft-Galerie genau das richtige Heilmittel gegen den schmerzlichen Kulturentzug gewesen. GROSS FORM ART soll diese Lücke in Braunschweig nun dauerhaft schließen, denn für regionale, nationale und internationale Künstler:innen wird die Löwenstadt zur bunten Spielwiese: Trostlose Gebäudefassaden werden sie in Zukunft mit großformatigen Wandgemälden – sogenannten Murals – versehen .
Seit Anfang des Jahres feilt das kreative Dreigestirn Siebke, Lemke und eventives an der Umsetzung von GROSS FORM ART – zuerst im Untergrund und seit Juni mit großem medialem Echo in der Öffentlichkeit. „Ich bin selbst überrascht von dem positiven Feedback, das wir erfahren haben, nachdem wir das Projekt verkündeten“, gesteht Christiane Nagel, Projekt- und Konzeptmanagerin bei eventives. Eigens für das Projekt wurde deshalb die neue, gemeinnützige Art Braunschweig gGmbH gegründet.
Das Kreativprojekt weckte auch erfreulicherweise das Interesse vieler Hauseigentümer:innen, die als Leinwandspender:innen essentiell für das GROSS-FORM-ART-Vorhaben sind. „Wir haben das Glück, dass alle Hauseigentümer, mit denen wir bislang gesprochen haben, aufgeschlossen sind“, berichtet Christian Siebke, der sich mitunter um die Vorauswahl der Künstler:innen kümmert.
Die Motive müssen dabei natürlich zur Umgebung passen, weiß Siebke: „Wenn wir über das Friedrich-Wilhelm-Viertel sprechen, passt glücklicherweise relativ viel. Das Magniviertel hingegen ist aufgrund seines Fachwerks und romantischen Ambientes nicht mehr so offen.“ Da Denkmalschutz und Stadtbild eine wichtige Rolle bei der Motivauswahl spielen, arbeitet das GROSS-FORM-ART-Team eng mit der Stadt zusammen. „Der Kern des Projekts ist, etwas Gutes für die Stadt zu tun. Wir möchten ein Erlebnis kreieren, um die Menschen zu motivieren, wieder öfter die Innenstadt zu besuchen“, betont Veranstaltungsexpertin Christiane. Immerhin beweisen nationale und internationale Großstädte wie Berlin, Hamburg oder Barcelona, dass die eindrucksvollen Murals wahre Publikumsmagneten sind und gern zu beliebten Fotospots avancieren. Welches Mural letztendlich seinen Weg an eine Hausfassade findet, entscheidet dabei eine fein ausgewählte Jury aus den Bereichen Kunst, Stadt und Medien – unter anderem mit dabei Dr. Anja Hesse, Dezernentin für Kultur und Wissenschaft bei der Stadt Braunschweig, und Nico Kassel, Geschäftsführer der Rathenau Kunst Vermittlung.
Der Pilot
Nach einem Dreivierteljahr der Planung und unzähliger Gespräche mit Sponsor:innen, Immobilieneigentümer:innen, der Stadt Braunschweig und vielen weiteren Partner:innen konnte GROSS FORM ART im vergangenen Monat endlich mit seinem Pilotprojekt durchstarten. Dafür traf die Jury erstmals Anfang September zusammen, um gemeinsam über sechs Motiventwürfe des international bekannten Stylewriters N.O.Madski zu diskutieren und final abzustimmen, welcher Entwurf den Diskobunker am Kalenwall schmücken soll. „Wir sind in das erste Jury-Gespräch gegangen und wussten beispielsweise noch überhaupt nicht, was sich die Stadt Braunschweig vorstellt. Am Ende stellte sich heraus, dass alle eine kunstvermittlerische Herangehensweise haben wollen – nämlich etwas mit Tiefgang“, erklärt Initiator Christian Siebke. Und darum geht es ja schließlich in der Kunst, Irritationsmomente zu schaffen und Fragen aufzuwerfen wie: Was erkenne ich da und was soll damit ausgedrückt werden?
Auch der Graffitikünstler selbst sei deshalb sehr glücklich mit der Juryentscheidung gewesen, verrät Siebke. Der Wahlhamburger N.O.Madski ist seit den 90ern in der Graffitiszene unterwegs. Heute gilt der 43-Jährige als international bekannter Vertreter des Stylewritings, der immer wieder augenscheinlich banale Subkultur-Grenzen durchbricht: Die Buchstaben seiner Schriftzüge sind komplett losgelöst von allgemeinen Formregeln – verschlungen, verbunden und zum Teil kryptographisch. Genau dieser außerordentliche Stil ziert nun die historische Bunkerfassade am Kalenwall. Mit der Braunschweigischen Landessparkasse als Muralpartner an der Seite und der Unterstützung der mateco GmbH lief das Pilotprojekt am 13. September an. Vor dem BLSK-Hauptsitz konnten Besucher:innen und Kunstfreund:innen dem künstlerischen Schaffen von N.O.Madski in Liegestühlen und mit bestem Blick beiwohnen.
Nach dem erfolgreichen Pilotauftakt geht es für alle Projektbeteiligten in die nächste intensive Planungsphase, denn 2022 sollen gleich mehrere Häuserfassaden maximal aufpoliert werden. Außerdem stünden schon einige Ideen für Side-Events, so Christiane. Für 2021 bleibt es also vorerst beim N.O.Madski-Wandgemälde an der Bunkerfassade. Steigt doch mal aufs Rad, macht einen Abstecher in die Innenstadt und genießt die Kunst unter freiem Himmel.
Fotos Andreas Rudolph
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