Die Berliner Musik-Alleskönnerin Mine veröffentlicht am 30. April ihr sechstes Studioalbum „Hinüber“.
Abseits des ermüdend-monotonen Radio-Mainstreams hat es sich Jasmin Stocker aka Mine in einer lauschigen Nische gemütlich gemacht. Von dort aus sendet die gebürtige Baden-Württembergerin eigens komponierte, geschriebene und produzierte Songs, die sich keinem Genre fest zuordnen lassen. Vielleicht besitzt sie auch deshalb einen Sonderstatus in der deutschen Pop-Landschaft. Bereits als Kind nahm Mine an Gesangswettbewerben teil, bekam Instrumental- und Gesangsunterricht und schlug mit Anfang 20 den Weg eines musisch-künstlerischen Studiums ein. Es ist also nicht übertrieben zu sagen, ihr Beruf ist ihre Leidenschaft und die Musik ihr Ventil.
Emsig und authentisch ist die gute Mi(e)ne – nach ihrer self-titled Debütplatte, die sie 2014 droppte, warf die Vollblutmusikerin fast jährlich ein neues Album auf den Markt. So unter anderem auch das Kollabo-Rap-Pop-Beziehungsalbum „Alle Liebe nachträglich“ gemeinsam mit Fatoni. Mit „Hinüber“ steht nun Album Nummer sechs in den Startlöchern, das am 30. April erscheint. Schon das bildgewaltige Video zur ersten Singleauskopplung „Unfall“ versprach, Mine ist ihrem künstlerischen Anspruch treu geblieben und mit dieser Platte erneut über sich hinausgewachsen.
Wir haben uns mit der 35-Jährigen via Zoom verabredet und durften den Interview-Auftakt eines langen Promotages bilden. Neben Eiscreme, K-Pop und Twitter sprachen wir mit der sympathischen Wahlberlinerin natürlich auch über ihr neues Album und ob die Welt noch zu retten ist.
Mine, ein Jahr Corona – wie ist es dir ergangen? Hast du auch Bananenbrot gebacken?
Ne, habe ich nicht. Ich habe es aber gegessen. (lacht) Ich kann nicht so gut backen. Aber ich habe einen guten Freund, der backt unfassbar gut und bringt mir manchmal Brot vorbei oder eben ein Bananenbrot. Ich habe versucht, mich nicht so viel mit der Corona-Situation zu befassen, sondern eben die Sachen zu finden, die mich irgendwie glücklich machen. Das war mein erstes Jahr ohne Release und deswegen ist bei mir auch viel weniger ausgefallen als jetzt bei anderen KollegInnen. Ich habe mein Projekt schon sehr lange, das heißt, dass ich nicht direkt Existenzängste hatte. Das geht NewcomerInnen schon ganz anders. Ich war einfach viel im Studio und das habe ich sehr genossen. Sonst habe ich wie alle anderen versucht, irgendwie klarzukommen und einfach nicht durchzudrehen.
Dein Album „Hinüber“ erscheint Ende April. Bist du noch nervös vor Neuerscheinungen? Auch inwieweit die Platte ankommen wird?
Also ich bin schon aufgeregt vor dem Release, aber eher, weil ich mich freue, da es der allerletzte Schritt einer Albumproduktion ist. Ich mache ja alles selbst: Vom Songwriting angefangen über Produktion, dann ins Mixing, dann Mastering, dann kamen die Videoideen und alles ist ein Gesamtding. Wenn es dann rauskommt, ist es wie ein Entlassen in die Freiheit, nachdem man da lange dran gearbeitet hat. Natürlich bin ich gespannt, was die Leute sagen, aber es ist nicht so, dass ich da erschütterbar bin. Wenn ich etwas fertig habe, was ich gut finde, dann habe ich ja schon für mich beschlossen, dass ich es gut finde. Der Geschmack ändert sich ja nicht, weil jemand es scheiße findet. Ich bin superstolz darauf und deswegen habe ich keine Angst vor den Reaktionen.
Beim Hören des Albums habe ich gemerkt, dass man dich in keine Soundschublade stecken kann. Wo lässt du dich inspirieren?
Eigentlich inspiriert mich alles, was ich höre. Es können Gespräche sein oder Sounds aus der Natur. Ich habe schon Songs geschrieben, weil ich gerade Sport gemacht habe und nebenbei Trash im Fernsehen lief. Doch eigentlich sind Live-Konzerte meine Hauptinspirationsquelle. Ich gehe viel auf Konzerte – auch von KünstlerInnen, die ich nicht unbedingt kenne. Das finde ich auch immer sehr inspirierend, wenn man plötzlich neue Sounds hört, auf die man sich vorher gar nicht eingestellt hat. Da passiert emotional total viel. Ich habe mich, glaube ich, beim letzten Album mehr als sonst persönlich produzentisch weiterentwickelt. Ich habe mir viele neue Tools zugelegt und mir auch ein paar Hardware-Sachen gekauft, die ich vorher noch nicht hatte. Davor habe ich immer mit relativ ähnlichen Plug-ins gearbeitet. Jetzt habe ich mich schon ein bisschen mehr ausprobiert. Da kamen sicherlich auch einige Inspirationen her, einfach beim Rumprobieren von irgendwelchen Effektgeräten.
Mir ist aufgefallen, dass du im Oktober 2020 sehr viel über Eiscreme getwittert hast. Hast du zu dieser Zeit den gleichnamigen Song aufgenommen oder war das schon ein Teaser aufs neue Album?
Ne, ich habe tatsächlich währenddessen den Song geschrieben. Aber es hat bestimmt schon vorher angefangen, dass ich über Eiscreme geredet habe. Dieser Song ist wirklich ein authentischer Liebessong über Eiscreme. Ich liebe Eis. Ich esse viel Eis und im Sommer auch gern jeden Tag. „Eiscreme“ war der letzte Song, den ich für das Album geschrieben habe. Ich hatte gemerkt, dass das Album zu schwerfällig ist, weil es nicht so viel Positives zu berichten gab. Ich brauchte ein bisschen Leichtigkeit. Ich dachte dann: Was kann ich denn schreiben? Eiscreme macht am meisten Sinn. (lacht)
Im Pressetext wird der Song mit „mindestens so zuckersüß wie ‚Ice Cream‘ von Blackpink“ beschrieben. Wie gefällt dir K-Pop?
Ich kenne den Song gar nicht. (lacht) Ich muss auch sagen, ich finde die Art und Weise, wie mit den Leuten umgegangen wird, die im K-Pop Bereich arbeiten, eher abstoßend. Auch wenn das total krass ist, was sie da machen und die Mucke auch irgendwie sicherlich geil ist, kann ich das nicht unbefangen hören, weil ich dabei immer so ein schlechtes Gefühl habe. Und ich kenne auch nicht eine Band, muss ich ehrlich sagen.
Du schriebst auch mal „Bin auf 180. Muss twittern.“ – Ist Twitter ein Ventil für dich?
Ne, das war eigentlich eher ein Scherz, denn ich finde, dass Twitter eigentlich so funktioniert. Jede Plattform hat ja so seinen eigenen Charakter und Twitter ist schon eine Hate-Bubble. Irgendjemand ist über irgendwas wütend und je süffisanter, desto besser. Selten wird getwittert: Oh, ich finde dich voll toll. Ich bin erst voll spät ins Twitter-Game eingestiegen und twittere auch nicht so oft. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass mich etwas ankotzt, dann twittere ich.
Als erste Singleauskopplung hast du „Unfall“ gewählt. Jedoch durften deine Fans schon vor Veröffentlichung den Song interpretieren. Die Ergebnisse gibt es auf der Webseite singminesong. Wie kam die Idee zustande?
Die Idee haben wir eigentlich von den Beatsteaks geklaut, die haben das nämlich schon vor zehn Jahren gemacht. Ich mache sowieso viel interaktiv mit den Leuten, die mir auf Instagram folgen – schickt mir mal ein Video davon oder macht da mal Fan-Art draus. Wenn mir jemand auf Instagram schreibt und es nicht übergriffig ist, dann schreibe ich eigentlich auch immer zurück und finde das irgendwie voll schön, wie viele krass kreative Leute darunter sind. Immer wenn ich kreative Sachen oder Aufrufe mache, dann funktioniert es jedes Mal wahnsinnig gut. Ich habe eigentlich gar nicht so eine große Reichweite, aber die prozentuale Anzahl der Antworten und der Leute, die mitmachen, ist relativ hoch. Ich dachte, es wäre eine mega geile Idee, weil die Leute wahrscheinlich Bock haben, mitzumachen. Und wie schön ist es, wenn einfach so viele schon vorher den Song selbst interpretieren, bevor er überhaupt da ist.
Wie war es für dich die Ergebnisse zu sichten?
Mega geil. Also erst einmal war ich total geflasht, wie viele da mitgemacht haben. Ich dachte am Anfang, wenn vielleicht 15 bis 20 Leute mitmachen, wäre das richtig killer. Jetzt sind es irgendwie 96 Versionen. Das hätte ich mir im Traum nicht vorgestellt. Und wie unterschiedlich, das fand ich halt auch voll geil, dass die Leute halt so individuell sind. Von Metal und Schranz über jazzige Sachen, aber auch irgendwie Rap mit eigenen Parts ist wirklich alles dabei. Das finde ich gerade so geil, weil ich halt auch sehe, dass die Leute, die jetzt gerne meine Mucke hören, auch aus komplett unterschiedlichen Richtungen kommen. Und ich bin ein sehr großer Freund von Individualismus und deswegen hat mich das froh gemacht.
Würdest du der Vox-Sendung „Sing meinen Song“ zusagen?
Ehrlich gesagt nicht. Also kein Hate oder so, es ist auf jeden Fall eine Sendung, wo Musik stattfindet, was prinzipiell schon mal super ist, weil das gibt‘s im Fernsehen eigentlich fast gar nicht mehr. Und vor allem ist das halt auch abseits der Castingshows so, dass es wirklich um die Musik von den jeweiligen KünstlerInnen geht. Ich persönlich bin nicht so der Fan von Fernsehformaten und ich muss auch sagen, dass ich nicht so gerne vor der Kamera stehe. Ich verbringe die Zeit lieber im Studio und mache Musik. Das ist eine ganz persönliche Entscheidung. Ich kann mir das nicht vorstellen, aber ich glaube auch nicht, dass sie mich anfragen würden.
„Es müssen erst ganz viele Klimakatastrophen passieren, damit der Kapitalismus nicht mehr an erster Stelle steht“
Das Video zu „Unfall“ ist übrigens fantastisch. Woher stammte die Idee?
Ich liebe es, mir Ideen für Videos auszudenken. Ich folge schon ganz lange Kunstkanälen auf Instagram, die zwei Bilder miteinander verbinden. Da gibt es viele, vor allem in so einem bisschen sexuelleren Bereich – Emir Shiro zum Beispiel, der verbindet viele Naturbilder mit nackter Haut. Ich fand das voll spannend und wollte schon immer mal so ein Konzept machen, wo zwei Bilder miteinander verbunden werden und hatte dann erst mal Ideen für dieses Video rausgeschrieben, welche zwei Sachen visuell zusammenpassen würden. Das Konzept, dass alles im Desktop spielt, war Dissys Idee, der auch alles programmiert hat. Wir haben dann so zusammengearbeitet, dass ich die Szenen rausgesucht und auf Premiere zusammengeschnitten habe. Wenn er dann gesagt hat, dass das gut funktioniert, dann habe ich die Bilder rübergeschickt und er hat es quasi programmiert.
Du singst in dem Song „Die Welt brennt“. Was glaubst du, sind wir noch zu retten?
Oh, I don‘t know, Alter. Ich weiß es wirklich nicht. Das ist auch so ein bisschen tagesformabhängig. (lacht) Also ehrlich gesagt, wenn ich mir die Menschheit und die Menschheitsgeschichte so angucke, dann glaube ich nicht daran, dass der Mensch an sich so viel Vernunft mitbringen kann, dass er über seinen eigenen Egoismus hinwegkommt. Aber andererseits gab es auch schon oft Prognosen, die sehr düster aussahen und irgendwie hat es dann doch geklappt. Ich glaube nicht, dass die Menschheit ausstirbt. Aber ich glaube, dass erst ganz viele schlimme Klimakatastrophen passieren müssen, damit sich dann so etwas ändert wie, dass der Kapitalismus nicht mehr an erster Stelle steht. Das Problem ist ja, dass die Lobbys eigentlich alles entscheiden auf der Welt. Es geht eigentlich nur um Kohle und um Macht. Es wird niemals an erster Stelle stehen, dass die Welt gesund ist und überlebt und es allen Menschen gleich gut geht. Das ist einfach nicht das höhere Ziel, weil der Mensch so egoistisch ausgelegt ist, dass das im Gesamten nicht machbar ist. Es passieren ja schon viele schlimme Klimakatastrophen, aber wenn es für die Menschen schon fast fassbar ist, dass es in ihrem engeren Umfeld sichtbar und spürbar wird, ich glaube, erst dann wird der Druck der Gesellschaft so hoch auf die Politik sein, dass sich dann wirklich etwas ändert. Und dann ist halt die Frage, wie viel zu spät wird es sein?
Ich habe mir einige Kommentare unter deinen YouTube-Videos angeschaut. Ab und zu gibt es auch mal einen blöden Kommentar. Zum Beispiel wie schade es sei, dass du jetzt Mainstream bist. Wie gehst du mit solchen KritikerInnen um?
Also ich muss darüber echt schmunzeln. Ich nehme das nicht ernst, weil die Menschen mich ja nicht kennen. Ich kenne auch diesen Ansatz, dass es nicht mehr cool ist, weil es nicht mehr nischig genug ist. Ich bin ja jetzt schon das dritte Album bei einem Major-Label und kann sagen, und von mir weiß ich das auch, dass sich in meinem Prozess nichts geändert hat. Ich schreibe und produziere alles alleine. Ich lasse mir von niemandem etwas reinreden und mein Label weiß das auch. Das war mir von vornherein auch klar, dass ich nur mit einem Label zusammenarbeiten kann, wenn die mir künstlerisch komplette Freiheit geben. Deswegen trifft mich das auch nicht, weil ich ja weiß, dass es nicht so ist. Hate-Kommentare treffen mich nur, wenn ich selbst weiß, ich habe etwas verkackt oder wenn ich denke, das da etwas dahintersteckt, das stimmt. Dann bin ich auf jeden Fall angreifbar. Ich habe durchaus schon Sachen gemacht, die nicht so cool waren. Ich habe zum Beispiel mal ein Video rausgebracht, das Bilder drin hatte, die politisch nicht korrekt waren. Aber ich habe das nicht gesehen, weil ich mich dahingehend zu wenig aufgeklärt hatte. Dann habe ich dazu Kritik bekommen und das hat richtig gesessen. Ich habe das Video auch direkt runtergenommen und auch etwas dazu gesagt. So etwas macht mich dann schon ziemlich fertig. Aber wenn ich weiß, dass es den Leuten nur darum geht, sich selbst zu profilieren, dann kann ich nur drüber lachen.
Du bist von Album zu Album immer extrovertierter in deiner Optik und deiner Art dich zu kleiden geworden. Inwieweit ist das auch Ausdruck deiner Persönlichkeitsentwicklung – Stichwort: Selbstsicherheit?
Es ist schon so, dass ich nicht unbedingt immer ein sehr selbstbewusster Mensch war. Und das ist sicherlich auch immer noch teilweise so, aber ich habe das Gefühl, je älter ich werde, desto mehr kann ich irgendwie darauf zurückgreifen, was ich gerne machen will und traue mich mehr aus mir heraus. Ich hatte beispielsweise lange Zeit einen Struggle mit meinem Erscheinungsbild und je unsicherer man sich in seinem Körper fühlt, desto weniger kann man auch extrovertierte Sachen tragen, weil es sich sonst irgendwie so anfühlt, als würden einen die Leute auf der Straße dauernd anschauen. Wenn man nicht so selbstbewusst ist, dann will man das ja nicht, dass die Leute einen anschauen, weil man sonst denkt, die finden einen scheiße. Das ist auch bei der Mehrheit einfach ein langer Weg. Wenn man nicht so ein gutes Selbstbewusstsein hat, dann weiß jeder, dass man damit sehr lang hadert. Das dauert einfach ewig, bis man überhaupt irgendwie Baby Steps gehen kann und irgendwann mit sich selbst cool ist. Ich glaube, deswegen geht es schon irgendwie Hand in Hand. Obwohl ich manchmal immer noch unsicher bin, traue ich mich aber jetzt schon viel viel mehr. Ich glaube, dass ich es eigentlich schon immer gern gemacht hätte, aber einfach zu unsicher dafür war.
Fotos Simon Hegenberg
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