Die Newcomer Melllow x Tarass präsentieren mit ihrer gemeinsamen Debüt-EP „Tagtraum“ fesselnde Poesie auf mitreißenden Instrumentals.
Manchmal trifft man im Leben auf Menschen, mit denen man sofort connectet. Diese unmittelbare Verbindung erfuhren auch die Braunschweiger Musiker Melllow und Tarass, als sie sich vor einem Jahr im Co-Workingspace Trafo Hub kennenlernten. Seitdem pflegen sie eine tiefe Freundschaft, die insbesondere auf der gemeinsamen Liebe zur Musik basiert und am 10. September mit ihrer ersten Kollabo-EP „Tagtraum“ gekrönt wurde. Vier Tracks umfasst das mutige Erstlingswerk des Duos, das sich dem Thema Realitätsflucht widmet. Wie die Musiker im SUBWAY-Interview verrieten, entstand das Konzept der EP jedoch eher zufällig. „Uns hat das Thema irgendwie gecatcht“, offenbart Tarass, „wir hatten schon früh eine Ästhetik im Kopf: Was sind die Farben, in denen wir denken und wie soll es klingen? Diesen Vibe haben wir versucht einzufangen.“ Und das ist den Musikern optimal gelungen. Sobald die EP startet, stoppt das eigene Gedankenkarussell. Aufmerksam lauscht man Melllows tief bewegenden und hoch poetischen Lyrics, die Musikproduzent Tarass gekonnt mit malerischen Beats und verträumten Klaviertönen unterfüttert. Für zwölf Minuten ist alles okay. Man muss nichts und kann alles.
Tatsächlich erinnert die Platte soundtechnisch wie auch inhaltlich an Caspers Meisterwerk „XOXO“. Emotionen und Schwäche zeigen? – für das Duo kein Tabu; Mutterlines und Schwanzvergleiche wiederum schon. „Wir haben bei der EP-Produktion gemerkt, dass wir nicht fein sind mit dem Deutsch-Rap-Image und den Aussagen, die an vielen Stellen gemacht werden“, kritisiert der 26-jährige Tarass, der zum Jahresanfang von Braunschweig nach Berlin zog. Rapper Melllow bekräftigt die Aussage seines Musikerkollegen: „Ich versuche, mich immer möglichst verletzlich zu zeigen. Ich meine, Emotionen machen das Leben erst lebenswert und man stumpft oftmals ab, weil man sich irgendwelchen gesellschaftlichen Zwängen unterwerfen muss.“ Besonders in Hinblick auf die psychische Gesundheit ist es wichtig, Gefühlen ein Ventil zu geben und im 21. Jahrhundert endlich mit dem stereotypischen Bild des harten und kontrollierten Mannes zu brechen.
„Die EP-Produktion hat auch gerade deshalb so gut funktioniert, weil wir emotional auf einer Ebene sind“, erklärt Rap-Poet Melllow, „wenn man gemeinsam Kunst macht, skippt man einen großen Teil an Small Talk und geht gleich an die eingemachten Themen.“
KF Tarass Melllow Nr.3 2 art
Musik fürs Auge
Obwohl die „Tagtraum“-EP bereits Bilder vor dem inneren Auge hervorruft, haben sich die zwei Braunschweiger nicht lumpen lassen und ein Musikvideo zu „Kirschblüten“ gedreht – dem wohl bewegendsten Track der Platte. „An manchen Tagen fällt die Sonne in das Meer und tut am nächsten Tag, als ob nichts wär“ rappt Melllow in der Hook und beschreibt damit das Abdriften aus der Realität in eine Traurigkeit.
Für den Dreh ging es nach Sankt Peter-Ording, um das Meer und die weitläufigen, verträumten Sandflächen zu nutzen, erzählt der Rapper: „Wir haben sogar ein paar Unterwasserszenen in einem Tauchsee in der Nähe von Bremerhaven gedreht “ – „in dem Mel fast erfroren ist …“, lacht Musikproducer Tarass. „Ja, es war brutal kalt. Sowieso hat mich der Dreh körperlich ans Ende gebracht. Aber ich liebe es, wenn ich aus meiner Komfortzone rausgezwungen werde“, so der 29-jährige Künstler. Produziert wurde das Video von Miriam Hesse-Eppendorf, einer Freundin von Tarass, die auch schon beim EP-Cover das Akustische höchst ästhetisch ins Visuelle umsetzte.
Endlich angekommen
Vieles im Leben muss kein Tagtraum bleiben. So beweisen sowohl Melllow als auch Tarass, dass es nie zu spät ist, etwas Neues zu beginnen oder Verlorengegangenes wieder aufzunehmen. Zwar rappte Melllow schon immer die Songs seiner Lieblingskünstler auswendig mit, doch zum Musikmachen kam der 29-Jährige erst vor zwei Jahren. „Mit 25 entschloss ich, dass ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Vorher habe ich mich nie ans Texten rangetraut, aber dann bin ich mit meinen Kumpels Peter und Siggi the Kid ins Studio gegangen und habe viel Freude daran gefunden, meine Gedanken einzufangen und Emotionen zu verarbeiten“, erzählt der Rapper. Tarass hingegen musiziert schon seit seiner frühen Kindheit: Auf das Lernen vom Klavier folgten Schlagzeug und das Produzieren von Musik. Letzteres verlor der 26-Jährige jedoch kurzzeitig aus den Augen. „Ehrlicherweise bin ich erst während des Corona-Lockdowns wieder dazu gekommen, weil ich natürlich viel Zeit hatte. Erst produzierte ich mit einem Freund von mir viel Musik, dann lernte ich Mel kennen und habe nun wieder richtig Blut geleckt“, gesteht Tarass. Manchmal braucht es eben nur die richtigen Leute oder Impulse, um seinen Tagtraum Realität werden zu lassen.
Fotos Miriam Hesse-Eppendorf, Jan P. H. Schneider
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