Pop-Poet Joris verlinkt mit seinem dritten Album „Willkommen Goodbye“ das Gestern mit dem Morgen.
„Herz über Kopf“ verliebte sich die deutsche Musiklandschaft 2015 in den jungen Singer-Songwriter Joris, der mit seinem Platin-Hit über Nacht zum Popstar wurde. Seine Debüt-Platte „Hoffnungslos hoffnungsvoll“ hielt sich 53 Wochen in den Top-100 und fuhr sogar Goldstatus ein. Ähnlich erfolgreich ging es für den talentierten Ostwestfalen weiter. Doch nach drei Echo-Auszeichnungen, einem auf Platz 13 gecharteten zweiten Album und ausverkauften Tourneen wurde es erst mal still um Joris.
Die nötige Entschleunigung nutzte der sympathische Multiinstrumentalist mit der rauchig-einfühlsamen Stimme, um sein aktuelles Album „Willkommen Goodbye“ zu schreiben und zu produzieren. Notorisch kreativ wie eh und je präsentiert der 31-Jährige nun eine Songsammlung zwischen melancholischem Schulterblick und optimistischer Vorausschau – mit ehrlichen Worten und ganz ohne kitschgespickte Pop-Klischees. Während die erste Vorabsingle „Nur die Musik“ bereits im vergangenen Sommer mit „Don’t Give a F**k“-Attitüde durch den Äther schallte, demonstriert der vor positiver Energie strotzende Titeltrack des Albums, dass Freud und Leid manchmal extrem nah beieinander liegen.
Im Frühjahr 2022 geht es für Joris auf ausgedehnte Deutschland-Tour. Zurzeit flimmert der Popsänger mit Johannes Oerding, DJ BoBo, Gentleman, Stefanie Heinzmann, Nura und Mighty Oaks-Sänger Ian Hooper für das VOX-Erfolgsformat „Sing meinen Song – Das Tauschkonzert“ über die Mattscheibe.
Via Zoom-Interview begrüßte uns der sympathische Musiker in seinem kleinen schnuckeligen Studio in Berlin und plauderte mit uns über „Willkommen Goodbye“, die Veränderungen im Musikbusiness und das Star-Dasein.
Joris, bei deiner neuen Platte „Willkommen Goodbye“ konntest du dich zum allerersten Mal rein auf die Albumproduktion konzentrieren, ohne parallel Konzerte oder Festivals zu spielen. Wie hat sich dein Kreativprozess dadurch verändert? War er anders als bei deinen Vorgängeralben?
Definitiv. Das klingt erst mal so positiv: Er hatte dann auf einmal ganz viel Zeit, um nur im Studio zu sein. (lacht) Ich liebe es, unterwegs zu sein. Wer schon mal auf meinen Konzerten war, weiß, dass ich Live-Musiker durch und durch bin. Das ist, was mich und meine Band ausmacht. Trotzdem, so absurd das eben ist, hat es etwas Gutes fürs Album gehabt, dass ich die Möglichkeit hatte, hier zu sein, Mucke zu machen und mich einfach noch mal ein bisschen tiefer drauf einzulassen als sonst. Aber ich wäre auch froh, wenn Konzerte und Festivals wieder losgehen würden.
Wie ist es, ein Album zu veröffentlichen und es nicht direkt auf die Bühne bringen zu können?
Ich glaube, das habe ich mich selbst noch nie richtig gefragt. Wir hatten das große Glück, am 30. April eine große Sendung in den Jugendwellen der ARD spielen zu dürfen, wo ich zusammen mit meiner Band und vielen Gästen das Album vorgestellt habe. Außerdem wird es im Sommer die ersten Corona-konformen Festival-Varianten geben, die jetzt überlegt und bekannt gegeben werden. Aber die Hoffnung, dass die Festivals, die noch nicht verlegt wurden, wirklich stattfinden werden, ist leider sehr klein.
Bei welchem Albumtrack ist die Vorfreude am größten, ihn live zu spielen?
Es gibt zwei sehr große Nummern – „Sturm und Drang“ und „Game Over“. Als ich die geschrieben habe, habe ich auf jeden Fall große Bühnen gesehen. (lacht) Da freue ich mich schon sehr drauf, die hoffentlich ganz bald auf einem Festival spielen zu können.
Inwieweit hast du dich musikalisch bei „Willkommen Goodbye“ weiterentwickelt?
Diese musiktheoretischen Dinge sind immer eher was für die Außenwelt. Aber ich würde auf jeden Fall sagen, dass das Album natürlich wieder eine Weiterentwicklung ist. Beim letzten Album habe ich gemerkt, dass es für uns ein Sport war, dass wirklich alles handgemacht sein musste – nichts durfte aus dem Computer kommen. Alles musste in Perfektion aufgenommen sein. „Schrei es raus“ ist ein wahnsinnig schönes Album geworden – sehr audiophil. Aber was viel wichtiger ist und was ich leider durch diesen Prozess erfahren musste, ist: Go with the Flow. In der Musik geht es in den seltensten Fällen darum, wie toll etwas aufgenommen ist. In den meisten Fällen geht es darum, ob man spürt, dass etwas passieren soll oder nicht. Bei „Willkommen Goodbye“ oder bei Songs wie „Nur die Musik“ sind zum Teil Handyaufnahmen aus dem Tourbus mit drin, wo wir gemeinsam gesungen haben. Das im Nachhinein noch mal im Studio einzufangen, wäre unmöglich gewesen, weil diese Energie nicht da gewesen wäre. Das unterscheidet dieses Album noch mal ein bisschen von den anderen beiden.
„Nur die Musik“ ist ja auch eine Hommage an einige deiner Lieblingssongs. Wenn man die YouTube-Kommentare deiner Musikvideos betrachtet, liest man oft, was deine Fans mit deinen Songs verbinden. Wie fühlt es sich an, auf der anderen Seite zu stehen?
Das ist eine gute Frage. Es ist auf jeden Fall mega verrückt. Klar, es ist ja normal, dass Leute zum Konzert kommen. Trotzdem war es irgendwie so, dass wir beim ersten Gig, den wir hatten, am Fenster vom Backstage standen und dachten: Diese Riesenschlange da draußen kommt jetzt wegen uns?! (lacht) Das ist zum Glück nach wie vor so geblieben, dass es etwas sehr Besonderes bleibt. Es ist natürlich nicht mehr so, dass ich mich verstecke, wenn irgendwo im Supermarkt ein Song von mir läuft und ich denke, jetzt erkennen mich alle Leute. Ich habe gelernt, dass die Leute diesen Song und vielleicht mich kennen und dass das nichts Schlechtes ist. Im Vergleich zu Politikern oder so kennen mich ja nur die Leute, die meine Musik gern mögen. Ich bin ja nicht so groß oder weit in den Mainstream vorgeschritten, dass mich jeder unbedingt kennen muss. Das sind ehrlicherweise sehr schöne Dinge und wenn Leute etwas mit meiner Musik verbinden, ist das natürlich eine große Ehre.
Schreibst du deine Songs eher mit Herz oder Kopf?
Kommt darauf an, was für ein Song es ist. Aber ich würde mal behaupten, in den meisten Fällen ist das Herz mindestens involviert.
Nachts oder tagsüber?
Eher nachts. Die meisten Songs habe ich morgens um vier oder fünf Uhr eingesungen. Wenn ich den Text fertig hatte, habe ich es einfach direkt aufgenommen und dann auch so gelassen, obwohl ich normalerweise dazu übergegangen wäre, zu sagen: Das musst du noch mal neu und anders machen.
„Wir haben eine Kultur, in der Fehler nicht zugelassen werden“
Der Song „Willkommen Goodbye“ handelt unter anderem davon, dass man im Leben auch mal scheitert, aber es sich immer lohnt, wieder aufzustehen. In unserer Gesellschaft ist „Scheitern“ ein sehr negativ konnotiertes Wort und hindert Menschen oft daran, mutig zu sein. Wie gehst du mit Rückschlägen um?
Ich glaube, das ist tatsächlich so. Scheitern an sich gehört nicht zu den coolen Dingen des Lebens – nicht nur in der deutschen Gesellschaft. Aber wir haben zusätzlich eine Kultur, in der Fehler nicht zugelassen werden. Ich sehe es oft bei egal wem, der in der Öffentlichkeit steht. Wenn etwas schief läuft, dann rollen Köpfe oder es werden Köpfe gefordert. Das ist in manchen Dingen auch wichtig, aber ich glaube, man muss beispielsweise auch unterscheiden zwischen persönlichem Misserfolg oder politischer Verantwortung. Für mich ist es immer wichtig, mein Bestes zu geben. Aber ich habe mittlerweile gelernt, bei allem was ich mache, möglichst authentisch und die beste Version von mir zu sein. Wenn man dann scheitert, finde ich es ehrlichweise auch okay zu scheitern. Es tut trotzdem genauso weh, aber damit kann ich irgendwie leben und auch wieder aufstehen. Ich bin auch mutig genug, mir anzugucken: Woran hat et jelegen? (lacht) Daraus kann ich dann irgendwie meine Schlüsse ziehen und man kann daran auch wachsen.
Deine Lyrics behandeln zwar oft auch ernstere Themen, aber trotzdem gibt es fast immer irgendwie einen positiven Twist. Woher nimmst du die Positivität?
Ich weiß es nicht genau. Meiner Musik wird oft eine gewisse Melancholie nachgesagt. Ich finde, die steckt da auf jeden Fall mit drin. Ich bin jemand, den Dinge beschäftigen und der viel nachdenkt. Trotzdem bin ich insgesamt ein sehr lebensfroher Mensch. Ich finde, Humor ist das wichtigste Gut, das wir haben. „Willkommen Goodbye“ ist ja auch erst mal ein sehr großer Gegensatz. Alles im Leben läuft in Kreisen.
Du bezeichnest dich selbst als Albumkünstler, jedoch hat sich die Musikbranche in den vergangenen Jahren durchs Streaming extrem verändert. Wie empfindest du die Veränderungen in der Musikindustrie?
Da ist auch wieder die Frage: Wie begegnet man dieser Medaille? Was da in den letzten Jahren passiert, ist, dass viele Künstlerinnen und Künstler überhaupt eine Bühne bekommen haben, die sonst ohne große Plattenfirma vielleicht nie gehört worden wären. Die Musik kann dadurch hoffentlich auch diverser werden. Natürlich ist es aber trotzdem so, dass die großen Streaminganbieter großen Einfluss haben. Die Plattenleute, die durch Algorithmen ersetzt wurden, sind jetzt nicht mehr menschlicher Natur, sondern da entscheiden inzwischen Klickzahlen. Das ist etwas, gegen das man nichts tun kann. Diese Welt hat sich einfach ein bisschen verschoben. Es gibt ein paar Instanzen, die wirklich toll sind, aber auch ein paar Sachen, die negativ sind, weil es ein Track-Business geworden ist. Es geht eigentlich nur noch darum, Songs zu schreiben, die möglichst gut in dieses 2:15-Format passen, damit die Zahl der Wiederholungen viel höher ist. Das ist eigentlich nichts, womit man als Künstler kompetieren kann. Es ist ab dem Moment einfach so, wie es ist. Ich habe mal von meinem Papa einen ganz wichtigen Satz gelernt: „Ändere die Dinge, die du ändern kannst und habe die Gelassenheit, Dinge zu akzeptieren, die du nicht ändern kannst.“ Es ist vielleicht ein bisschen altmodisch, aber ich habe Bock, meinen Fans ein komplettes Album zu zeigen. Da gehören auch die zwei Interludes mit dazu, die eher klassischer angehaucht sind, genauso wie Songs, die niemals im Radio laufen könnten. Das bin halt ich und das möchte ich den Leuten auch zeigen.
Die Frage ist auch, wie viel Inhalt noch im Song steckt, wenn man ihn auf zweieinhalb Minuten komprimiert…
Es gibt natürlich auch Mucke, die ich total feiern kann, weil sie irgendwie auf den Punkt gebracht ist und wo auch nichts mehr fehlt. Das sind meist Gute-Laune-Tracks, die zwei Minuten lang durchballern und man sich dann so denkt: Geil! Wenn ich Bock habe, dann höre ich den Song noch mal. Es gibt aber auch andere Arten von Musik. In der Klassik bist du beispielsweise nach zwei Minuten gerade erst beim Hauptthema angekommen. Bis dahin wurde erst mal nur gedudelt und das gehört sich auch so. Das kann natürlich niemals dazu führen, dass das irgendwie die Klickzahlen bekommt, die irgendein Algorithmus dann wiederum als so wichtig empfindet, dass er das Ding pusht. Das ist das Riesenproblem an allem und nicht nur in der Musik, Algorithmen sind ja fast überall in unseren Leben und leiten uns auch irgendwie. Eine Nachricht, die zum Beispiel viel reißerischer geschrieben ist und dadurch mehr geklickt wird, bekommt einen höheren Stellenwert als die womöglich besser recherchierte. Das ist die Problematik an Algorithmen, wenn wir uns darauf einlassen. Es hat viel Gutes, aber man sollte trotzdem stets kritisch hinterfragen.
Fotos Paul Huettemann, Chris Heidrich
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