Die dunkle Seite des Lichts

Macht! Licht!
bis 10. Juli | Kunstmuseum Wolfsburg
Volkswagen Art4All freier Eintritt in alle Ausstellungen
von 16 bis 21 Uhr am 27. April, 25. Mai und 29. Juni
kunstmuseum.de

Die Ausstellung „Macht! Licht!“ im Kunstmuseum Wolfsburg beschäftigt sich erstmals mit den kritischen Aspekten von künstlichem Licht.

Um das Licht ranken sich seit Jahrtausenden zahlreiche Mythen, Phänomene und Symboliken. In der griechischen Mythologie ist Pandia, Tochter der Mondgöttin Selene und des Göttervaters Zeus, die Personifizierung des Lichts, der Helligkeit und des Strahlenden. Der biblischen Schöpfungsgeschichte zufolge erschuf Gott bereits am zweiten Tag Licht und Schatten. Im 18. Jahrhundert wiederum wurde das Licht zum Symbol der Aufklärung und markierte damit den Anbruch der Moderne. Lange Assoziationsketten entstehen also beim Gedanken an Licht. Aber eine Aussage ist unbestreitbar: Sonnenlicht ist die Quelle irdischen Lebens.

 

 

Doch mit der Erfindung der Glühbirne vor mehr als 150 Jahren ist dem Licht zunehmend seine Natürlichkeit abhandengekommen – vielmehr ist es für uns nun eine Selbstverständlichkeit. Sobald die Sonne untergeht, werden Straßenlaternen eingeschaltet, Schaufenster beleuchtet und das Wohnzimmer von flimmernden Bildschirmen erhellt. Der Mensch ist abhängig vom Licht und beherrscht es zugleich. In seiner aktuellen Ausstellung „Macht! Licht!“ widmet sich das Kunstmuseum Wolfsburg mit 80 Lichtkunstwerken von 65 international bekannten Künstler:innen erstmals den Schattenseiten künstlicher Beleuchtung – von Lichtverschmutzung über Anziehung, Abschreckung bis Folter.

Politisch und poetisch
Bereits der Ausstellungstitel trägt eine gewisse Ambivalenz in sich: So kann „Macht! Licht!“ einerseits als Imperativ verstanden werden, andererseits verdeutlichen die zwei Ausrufezeichen im clever gewählten Titel, dass mit Licht auf unterschiedlichste Weise Macht ausgeübt werden kann. Aber auch in den Exponaten selbst steckt eine gewisse Widersprüchlichkeit. Obwohl die etwa 80 Kunstwerke den exzessiven Einsatz von künstlichem Licht kritisieren, spielen sie zugleich mit seiner anziehenden Schönheit.
Schon am Ausstellungseingang erwartet die Besucher:innen des Kunstmuseum Wolfsburg das eindrucksvolle Keyvisual von „Macht! Licht!“: Der stilisierte Sonnenuntergang des Schweizer Künstlers Lori Hersberger besteht aus farbigen Neonröhren, die sich in einer Fläche aus schwarzem, zersplittertem Glas spiegeln. Laut Hersberger habe dieses Naturschauspiel etwas Kathartisches: „Diese Zerbrechlichkeit im Zusammenhang mit dieser Herrschaftlichkeit der Natur lässt einen vielleicht auch erahnen, dass eben dieser glückliche Moment auch zerbrechlich ist.“

Auf „Zombie Voyager No.1 (Sunset 368)“ folgt das nächste Kapitel der Ausstellung: Mit dem Thema Migration und Geflüchtetenpolitik beschäftigt sich etwa Alfredo Jaars „(Kindness) of (Strangers)“, dessen komplex angeordnete Neon-Pfeile die Geflüchtetenströme jener Menschen zeigen, die 2015 aufgrund des Syrien-Kriegs aus ihrer Heimat fliehen mussten.
In Anlehnung eines 36 Meter hohen Reliefporträts des Revolutionärs Che Guevara am kubanischen Innenministerium prangt im Kunstmuseum Wolfsburg eine deutlich kleinere Angela Merkel an der schwarzen Wand. „It’s not Che, it’s Angela Merkel“ heißt die humorvoll-ironische Installation des kubanischen Künstlerduos Los Carpinteros, das damit hinterfragt, was Held:innentum ausmacht und wer die wahren Held:innen sind.

Wer Licht hat, hat Macht
Aufgrund seiner einnehmenden Ausstrahlung ist Licht ein machtvolles Medium. Schon im frühen 20. Jahrhundert wurde es etwa für Werbung eingesetzt, weiß Kurator Dr. Andreas Beitin: „Wenn man sich die Historie der Neonröhre anschaut, dann wurde sie tatsächlich zum ersten Mal im Werbekontext eingesetzt. 1913 hat nämlich ein Pariser Friseurgeschäft mit Neonlicht auf sich aufmerksam gemacht.“ Inzwischen gehören elektrische Leuchtreklamen, Bildschirmwerbung, City Light Poster und digitale Projektionen zum schrillen Standard. Für New York und seinen Times Square sind sie sogar ein Markenzeichen, gemäß dem amerikanischen Selbstoptimierungsslogan „Faster! Bigger! Better!“ (Sylvie Fleury, 1999).
Dass Lichtwerbung schwere Auswirkungen auf das globale Ökosystem hat, ist zwar bekannt, doch Deutschland hat erst in jüngster Vergangenheit damit angefangen, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Licht ist immerhin der wichtigste biologische Taktgeber für alle Lebewesen. Ein Zuviel stört beispielsweise den Biorhythmus vieler Tiere, sodass sich etwa ihr Paarungs- und Wanderungsverhalten verändert. Auch Insekten sind unmittelbar von den Folgen betroffen. Häufig kreisen sie orientierungslos und bis zur Erschöpfung um Lampen, Leuchten und Laternen herum.

Den massenhaften Rückgang von Insekten thematisiert Nana Petzet in ihrer künstlerisch-wissenschaftlichen Arbeit „Lichtfalle Hamburg“. Von 2015 bis 2018 war die Künstlerin mit einer Biolog:innen-Crew und einem großen Lichtobjekt im Hamburger Hafen unterwegs. „Innerhalb dieser vier Jahre musste das Team feststellen, dass es zu einer signifikanten Abnahme von Insekten im Hamburger Hafen gekommen ist“, erklärt Kurator Dr. Andreas Beitin beim Ausstellungsrundgang.
Obwohl wir wissen, dass Insekten ein wesentlicher Bestandteil im Gleichgewicht der Natur sind, nutzt der Mensch UV-Licht, um sie gezielt zu töten (Damien Hirst, „A Hundred Years“, 1990). So wird Licht auch zur Machtdemonstration und teilweise sogar zur Foltermethode: Gregor Schneiders „High Security and Isolation Cell No. 2“ ahmt eine Zelle aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Guantánamo nach, wo Menschen auf kleinstem Raum durchgehend einer gleißend hellen Lichtquelle ausgesetzt sind. „Weiße Folter“ lautet diese Praktik und kann von den Besucher:innen des Kunstmuseums mit Betreten der Zelle annähernd nachempfunden werden.

Ans Licht kommen
Schon seit Anbeginn der Menschheit symbolisiert Licht Wissen und Vernunft. Elektrisches Licht wiederum strahlt urbane Modernität aus. Mit dem Spannungsverhältnis zwischen Wahrheit und Moderne beschäftigt sich der US-amerikanische Künstler und Medienkritiker Warren Neidich. Seine Neon-Installation „Pizzagate Neon“ thematisiert den Fake-News-Skandal um Hillary Clinton im Wahlkampfjahr 2016: In den Sozialen Medien kursierte die Verschwörungstheorie, Hillary Clinton und ihre politischen Berater:innen hätten im Keller der Pizzeria Comet Ping Pong einen internationalen Pädophilenring organisiert. „Ein bewaffneter Trump-Anhänger stürmte diese Pizzeria, um diese vermeintlich gefangen gehaltenen Kinder zu befreien, die es natürlich nicht gab“, berichtet Kurator Dr. Holger Broeker. Das Lügennetzgebilde aus Neon zeigt, wie das Gerücht trotz des Zwischenfalls weitergesponnen wurde und welche Auswirkungen es auf das Wähler:innenverhalten der US-Amerikaner:innen hatte.
Zur Ausstellung „Macht! Licht!“ ist eine umfangreiche zweisprachige Publikation im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König erschienen. Beiträge aus der Kunst- und Kulturgeschichte sowie der Theologie, Biologie und Politik setzten sich en détail mit den positiven und negativen Seiten von Licht auseinander und sensibilisieren neben der Ausstellung für einen achtsamen Umgang mit künstlichen Energiequellen.
Letztendlich könnte die Erde ein idealer Ort zum Leben sein, wie das Künstler:innen-Duo Anne Marie Jugnet und Alain Clairet in seinem Werk „Un endroit idéal“ feststellt. Doch dafür muss auf das Sonnenlicht vom Tag auch die Dunkelheit der Nacht folgen.

Fotos Marek Kruszewski

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Denise Rosenthal

Geschrieben von Denise Rosenthal

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