Der Pop-Schwindel?

Rainald Grebes neues Album heißt „Popmusik“,
doch macht euch keine Hoffnungen – seicht wird es nicht.

Rainald Grebe vereint in seiner Berufung als linksintellektueller Kulturmacher diverse Kunstformen, ist Kabarettist, Autor, Theater- und Liedermacher. Einst trat er bei „Nightwash“ und „Die Anstalt“ auf und klagte nebenher gegen das Geschäftsmodell gebührenpflichtiger Sanifair-Toiletten. Zudem produzierte er über zehn Alben. Das neueste mit dem Titel „Popmusik“ erscheint am 5. Februar mit Songs wie „Wissenschaft ist eine Meinung“, bei dem Grebe im Musikvideo unverblümt mit Aluhut vor dem Bundestag steht. Diesmal alles ohne Klavier, dafür eher elektronisch, um sich vor allem einem anzunähern: dem titelgebenden Populären. Ob das gelingen kann? Schließlich ist der 49-Jährige weiterhin eher an Gehaltvollem interessiert als an Giesinger und Forster. Nach gescheiterter Zoom-Konferenz haben wir Rainald Grebe kurzerhand am Telefon ausgehorcht: über sein Scheitern, Musik ohne Message zu schreiben, über Politik in der Kunst und rotes Edelpesto.

 

Was verbinden Sie mit Braunschweig?
Braunschweig kenne ich ehrlich gesagt nur vom Zugverpassen. Ich wollte in den Osten, musste dann ein Hotel am Bahnhof nehmen. Da war ich dann noch bei McDonald‘s. Das war das Einzige, was noch aufhatte.

Haben Sie Gewissenskonflikte, wenn Sie zu McDonald‘s gehen?
Ich habe keine einwandfreie Gesinnung, deshalb mache ich das dann, wenn einfach nichts anderes da ist.

Lohnen sich Sanifair-Bons als Wertanlage?
Das habe ich auch mal gedacht, aber die verfallen wohl irgendwann. Die sind irgendwann nichts mehr wert.

Sie haben ja mal gegen Sanifair geklagt. Wie ist das ausgegangen?
Ich musste als Verlierer des Prozesses sehr viel Geld bezahlen. In diesem Fall habe ich sogar zwei Mal verloren: Ich hatte ja noch in höherer Instanz nachgeklagt.

Was finden Sie besser: Pesto rot oder grün?
Kommt darauf an, wer es macht, aber eher rot. Es gibt hier in Berlin-Mitte Edelpesto vom Laden gegenüber, das kostet sieben Euro. Handgerührt, das ist schon ein Unterschied. Das Hochpreisige ist meine Blase. (lacht)

Couscous oder Quinoa?
Couscous.

Petersilie glatt oder kraus?
Glatt, äh gekräuselt. Entschuldigung.

Bier oder Wein?
Da muss ich sagen, beides. Hintereinander, erst Bier dann Wein.

Merz, Laschet oder Röttgen als Kanzler?
Uff, dann lieber Merkel, muss ich sagen, die soll verlängern.

Weil die SPD dann ein Feindbild hat?
Ja, dann können die sich freuen. Endlich wieder fünf Prozent mehr!

Sind Sie SPD-Mitglied?
Kein Mitglied, Sympathisant durchaus.

Wollen wir noch ein wenig über ihr neues Album sprechen?
Nö. (lacht)

Na gut. Wen finden Sie besser: Neil Young oder Simon & Garfunkel?
Neil Young ist schon ganz gut manchmal. In seiner nöligen Art, das gefällt mir. Hat seine Songrechte jetzt aber ja an einen Hedgefonds verkauft für Milliarden von Euro, genau wie der andere Altlinke … Bob Dylan. Das ist schon richtig viel Kohle zum Vererben.

Und das für ein bisschen Gitarrenmusik …
Wenn überhaupt! Ich weiß gar nicht, ob Neil Young gut Gitarre spielen kann. Ich habe von Gitarristen gehört, dass das gar nicht geht.

Und was halten Sie von Degenhardt?
Den habe ich sogar noch live gesehen, fand ich sehr gut! „Deutscher Sonntag“ ist eines meiner Lieblingslieder.

Reden wir mal über zeitgenössische Musik. Wie finden Sie Billie Eilish?
Die ist schon ganz gut. Wie hieß dieses eine Lied noch, was dauernd rauf und runtergeht … Richtig, „Bad Guy“! Das wirkt immer so ein bisschen depressiv, wie sie da nölt und so. Sehr reduziert, wie sie das da singt, aber scheinbar sehr selbstbewusst, also alles gut.

Kennen Sie Yung Hurn?
Wer? Wen? Sagt mir nichts. Aber vielleicht ergibt sich da ja mal eine Collabo. Mit anderen Künstlern sind wir im Gespräch für Features.

Warum ist Popmusik so geil?
Das weiß ich gar nicht! Das ist eher ein Spielbegriff. Ich hab mal ein Album gemacht, das „Volksmusik“ hieß, und alle dachten, das ginge jetzt in Richtung Musikantenstadl, dabei war das eher ein Spielen mit diesem Begriff. Wenn man jetzt sagt, Popmusik ist das, was viele hören und was im Radio läuft, dann gibt es hier ein Problem, denn ich werde nicht im Radio gespielt, habe ich erfahren. Ich glaube, die Songs dürfen dort nicht länger als dreieinhalb Minuten sein und für Spotify muss auch nach 30 Sekunden der Refrain einsetzen. Das habe ich alles nicht geschafft.

Dann sind Sie mit Ihrer „Popmusik“-Platte also gehörig am Ziel vorbeigeschrammt?
Ja, ich schaffe es leider nicht. Durch diese Elektro-Rhythmen hängt das auch so ein bisschen mit der Neuen Deutschen Welle zusammen. Das ist halt so das, was ich damals vom Pop mitbekommen hab.

 

„Und dann kommt der Durchbruch! Dann kann ich auf den Ü-40-Partys abrocken. das wäre noch so ein Ziel von mir“

 

Gab es den Moment, wo Sie sich gesagt haben, ich schreibe jetzt einen Popsong, und hinterher verärgert waren, dass es doch wieder ein Grebe-Song geworden ist?
Nee, ich glaube, das war andersrum. Das waren Grebe-Songs, die ich am Klavier spiele, die dann halt auch klingen wie so Klavierlieder. Dann kommt man mit Martin Bechler von Fortuna Ehrenfeld zusammen, der da so alte Drumcomputer und Rhythmusmaschinen alter Art hinzugegeben hat und dann kommt eben sowas raus. Bechler hat früher immer hinterm Pult gesessen und Leute aufgenommen. Jetzt ist er seit einiger Zeit auf die alten Tage selbst Popstar geworden und macht das, was er ursprünglich gemacht hat, nämlich für andere Leute rumproduzieren.

Haben Sie auch Instrumente eingespielt?
Die alten Orgeln sind von mir.

Für Popmusik ist es ja eher nicht vorgesehen, dass der Star selbst zum Instrument greift …
Das kann sein. Man sieht, das Thema ist halt verhauen.

Kennen Sie Benjamin von Stuckrad-Barre? Der hat neulich gesagt, es nerve ihn, wenn Kunst ständig mit Politik gemischt wird.
Ja, ist vielleicht was dran, aber ich möchte halt immer etwas Konkretes zu beißen haben. Die nächste Platte heißt „Tanzmusik“, da muss ich mich wirklich nach der Decke strecken. Vielleicht werde ich da nur Instrumentalmusik machen oder nur einzelne Worte reinpacken. Und ich lasse es mir schreiben, das ist eine gute Idee. Ich lasse mir einen von Universal empfehlen, der macht mir das dann. Und dann kommt der Durchbruch! Dann kann ich auf den Ü-40-Partys abrocken, das wäre noch so ein Ziel von mir.

Sind Sie traurig, wenn Sie ins Publikum schauen und die Leute immer älter werden?
Ich würde mich wundern, wenn sie jünger würden. Als ich Mitte dreißig war, saßen im Publikum so Achtzehnjährige, die haben, glaube ich, naturgemäß nur die Hälfte verstanden. Jetzt mischt sich das alles total. Jetzt sind da sehr viele Weißhaarige, aber auch noch Jüngere. Es ist ein Querschnitt der verschimmelten Gesellschaft. Viele Leute, die so alt sind wie ich, gehen aber leider nicht mehr aus und bleiben zu Hause.

Gibt’s mit zunehmendem Alter Verdruss?
Es wird eben zu viel. Junger Mann, wenn ich dir das sagen darf: Familie ist krass. Egal, ob im Lockdown, neben dem Beruf, dazu dann noch ein Haus auf dem Land, es ist viel mehr als mit 20 oder 30. Trotzdem hat der Tag nur 24 Stunden, da sterben eben ein paar Sachen ab. Kann passieren, dass die falschen Sachen absterben. Aber es ist so.

Corona verstärkt das ganze zusehends …
Das stimmt. Ein Kollege im Livegeschäft macht jetzt einen Pizzaservice auf, weil er nichts mehr verdient. In der Branche müssen sich viele jetzt anderweitig verdingen. Ein Backliner, der immer die Instrumente gestimmt hat, unter anderem für Peter Maffay, macht jetzt Zahntechnik. Ein anderer Tontechniker arbeitet im Fahrradladen. Die müssen alle gucken, wo sie bleiben. Was einem auffällt, ist dass wir als Kulturschaffende nicht mehr so wichtig sind. Wenn mir abends nach einem Auftritt niemand mehr applaudiert, nagt das am Selbstverständnis, dass man ja etwas für Zuschauer machen will. Das ist gerade nicht da. Dann produziert man auf Halde, die meisten Musiker haben ja Songs gemacht über den Lockdown, da entsteht dann ein Stau an Ideen und Sachen. All diese Premieren und Livestreams kann sich praktisch auch keiner komplett anschauen.

Wird es Goldgräberstimmung geben, wenn Kulturveranstaltungen wiederkommen?
Du meinst, dass Leute dann vier Konzerte am Tag besuchen? Ja, schön wär‘s. Ich glaube es eher nicht. Es wird durchaus hart werden auf dem Markt. Im Lockdown haben sich womöglich auch schon gewisse Rituale entwickelt, man hat darauf verzichtet und dadurch ist es einem vielleicht auch nach Corona nicht mehr so wichtig. Sicherlich ist es jetzt auch mit einem Impfstoff nicht getan. Der Rattenschwanz an doofen Meldungen wird erstmal zwei, drei Jahre bleiben.

Was ist Ihr Ausgleich? Auch Zahntechnik?
Schreibtischarbeit. Ich schreibe viel. Man macht verschiedene Dinge. Aber das andere, das live Auftreten, ist halt seit März weg und das fehlt einfach.

Rauchen Sie?
Seit fünf Jahren nicht mehr, krankheitsbedingt. Ich bin nicht gerne Nichtraucher.

 

„Wenn Abends nach einem Auftritt niemand mehr applaudiert, nagt das am Selbstverständnis“

 

Sie tragen häufig einen Federkopfschmuck. Gab es mal Vorwürfe kultureller Aneignung?
Die Vorwürfe gibt es leider immer noch. Ich habe in diesem Sommer vor, ein Konzert in der Waldbühne Berlin zu spielen. Auf dem Plakat ist der Kopfschmuck zu sehen, wird jetzt aber zerfetzt dargestellt. Er fliegt mir um die Ohren. Klar, gerade in den letzten Jahren wurde das als kulturelle Aneignung kritisiert und deshalb wird das auch von mir thematisiert. Ich sehe die Kritik und beziehe sie mit ein. Aber er wird nach wie vor aufgesetzt. Ich habe mal ein Stück auf die Bühne gebracht, aus dem Originalbuch „Tarzan von den Affen“ von Neunzehnhundertnochwas, das von Rassismus nur so trieft – so sehr, dass wir damals darüber gelacht haben. Wir fühlten uns ja auf der richtigen, auf der kritischen, linken Seite. Wir haben da Comedy draus gemacht. Die Leute haben sich weggeschmissen vor Lachen. Natürlich gibt es daran Kritik zu äußern. Dann haben wir es nochmal als kommentierte Fassung neu aufgeführt. Ich würde sowas nicht einfach ganz bleiben lassen, dafür sind mir diese Themen zu vielschichtig. Ich lasse den Federschmuck jetzt nicht einfach weg – er hat ja irgendwas bedeutet. Karl May mit „Winnetou“ zum Beispiel – da haben sich Leute, die nie in Amerika waren, Geschichten über Indianer ausgedacht, die von Stereotypen nur so wimmeln. Später als alter Mann war May dann mal dort und hat gesehen, wie diese Menschen in ihren Reservaten leben und konnte daraufhin keine einzige „Winnetou“-Zeile mehr schreiben. Das sind gute Stories und deshalb möchte ich diesen Federschmuck aufhaben, wenn ich von so etwas erzähle.

Waren Sie mal bei Fridays for Future?
Ja, am Brandenburger Tor. Da hatten Seeed gespielt. Peter Fox hat den jungen Menschen gesagt: „Liebe Leute, ich bin voll einverstanden mit dem, was ihr fordert, aber macht das doch bitte Freitagnachmittag.“ Wie so’n alter Herr. In Ungnade ist er aber nicht damit gefallen. Als die Musik losging, wurde getanzt und gewippt. Popmusik!
Danke für das Interview!
Sehr gerne, ahoi nach Braunschweig und Gesundheit!

Fotos Alessandro De Matteis

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Simon Henke

Geschrieben von Simon Henke

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