Seit Januar startet Ville Valo, der ehemalige Frontmann der Band HIM,
mit seinem Soloprojekt nochmal so richtig durch.
Ville Valo ist zurück. Fünf Jahre nach dem Ende der Gothic-Rocker HIM präsentiert deren ehemaliger Frontmann sein Solodebüt. „Neon Noir“ hat der finnische Weltstar während der Pandemie allein in seinem Homestudio in Helsinki aufgenommen. Die verträumten, bittersüßen Metalsongs bringen die dunkle Seite seiner Persönlichkeit ans Licht und sind im Februar und März auch auf deutschen Bühnen zu hören. Mit Olaf Neumann sprach der 47-Jährige über Melancholie als Triebkraft, sein Faible für Spelunken und Finnlands Nachbarn Russland.
Sie haben sich zwei Jahre lang in Ihrem eigenen Studio eingesperrt und jedes Instrument auf Ihrem Solodebüt „Neo Noir“ selbst gespielt. Haben Sie dabei irgendetwas Neues über Musik gelernt?
Ich habe viel über den gesamten Prozess des Plattenmachens gelernt, weil ich bis dahin noch nie etwas professionell aufgenommen hatte. Ich war immer nur der Typ, der Songs geschrieben und gesungen hat. Das machte es für mich sehr interessant. Es ist wichtig, sich selbst herauszufordern und den Job interessant zu halten. Sonst fühlt es sich an wie Routine. Und das ist etwas, das ich wirklich nicht mag. Das ist auch einer der Gründe, warum wir HIM aufgelöst haben. Wir hatten den Funken verloren, und das ist genau der richtige Moment gewesen, um etwas anderes zu tun. Drei Jahre später fand ich mich in meinem Homestudio wieder und versuchte, die Pandemie durch Musik zu überwinden.
2017 hat sich Ihre langjährige, weltweit erfolgreiche Band HIM aufgelöst. Haben Sie sich damals ausgebrannt gefühlt?
Ehrlich gesagt fühlte ich mich mehr oder weniger seit dem Jahr 2000 ausgebrannt. Natürlich war ich traurig und wehmütig wegen dem Band-Split. Vielleicht auch ein bisschen besorgt darüber, was danach passieren wird. Aber bereits am ersten Tag nach unserem Abschiedskonzert hatte ich das Gefühl, dass eine Last von meinen Schultern gefallen ist. Zu dieser Zeit hatte ich keine Ahnung, ob es jemals neue Musik von mir geben würde. Aber die findet eigentlich immer ihren Weg zu mir. Das ist ja nichts, was man erzwingen kann. Für mich ist das Wichtigste, mein Leben zu leben und zu versuchen, neue Dinge zu erfahren. Und dann kommt die Musik nach einer Weile automatisch. Es ist wichtig, dass man bei einer Platte das Gefühl hat, alles gegeben zu haben. Ich bin ein bisschen ein Drama-King. Meine Sachen müssen extreme Schattierungen von hell und dunkel haben und nicht viel dazwischen. Ich war schon immer ein launischer Bastard.
Sind Sie heute – in Ihrer mittleren Lebensphase – ein gesund lebender, durchtrainierter Mann?
(lacht) Mittleres Alter – das ist eine interessante Sichtweise! Ich bin heute viel gesünder, zumindest körperlich gesehen. Ich habe auch mit meiner Mutter über das Älterwerden gesprochen. Wir haben ähnliche Gedanken und den gleichen Sinn für Humor. Auch wenn man ein bisschen weiser wird, heißt das nicht, dass man seinen kindlichen Sinn für Albernheiten verliert. Der ganze Alterungsprozess ist ja ein schmaler Grat. Ja, ich versuche, mich ein bisschen besser zu benehmen.
Was heißt das?
Ich habe schon lange nicht mehr den Rock‘n‘Roll-Lebensstil gelebt, weil ich irgendwann gemerkt habe, dass ich entweder nur Musiker und Songschreiber oder nur Alkoholiker sein kann. Ich kann keinen gesunden Mittelweg finden. Denn ich mag meinen Drink und das Leben in einer Bar zu sehr. Ich fand mich irgendwann in einer Situation wieder, in der ich nicht mehr beides tun konnte. Also habe ich mich für eines entschieden. Musik ist für mich ein bisschen spezieller als Bier. (lacht)
Kann eine Bar ein inspirierender Ort sein?
Ja, sie kann etwas Besonderes sein. Zumindest gibt es in Berlin noch einige Bars, in denen man rauchen darf. Früher konnte man alleine in eine Kneipe gehen und dort stundenlang mit dem Barkeeper quatschen. Sich hinsetzen, eine Zigarette rauchen, Lebensgeschichten erzählen. Es gibt nichts Ernsteres, es ist wie ein vorbeifahrendes Schiff in der Nacht. Das ist etwas wirklich Schönes, und man lernt dabei Dinge, die man nie in einer Zeitung oder so erfahren würde. Ich bin heute froh, dass ich das für eine lange Zeit zu meiner Leidenschaft und meinem Hobby gemacht hatte. Aber wenn Alkohol im Spiel ist und man feiert und die Hände zittern stark, ist es schwer, Gitarre zu spielen. Es ist auch schwer zu singen, wenn man sich auskotzen muss und die Stimme heiser ist. Ich kenne einige Leute, die beides können, aber ich bin nicht gut im Multitasking.
Die Grundstimmung auf Ihrem Album „Neon Noir“ ist düster. Ist das ein Ausdruck von Sorge? Und was genau macht Ihnen Sorgen?
Vielleicht sorge ich mich ja um das Wohl der gesamten Menschheit, um unsere Spezies. Es gibt so viele Dinge, über die man traurig sein kann. Aber es gibt auch eine hoffnungsfrohe, schöne Düsternis mit dem Beigeschmack von Nostalgie und Wehmut. Dieses schöne Gefühl der bittersüßen Melancholie steht im Gegensatz zur Depression über den Klimawandel oder die Situation in der Welt. Es gibt so viele Dinge, über die man wirklich traurig sein kann. Und das war schon immer so. Für mich ist Musik eine Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen. Die Welt, in die ich eintauche, wenn es mir schlecht geht, ist eine traumhafte wie in David Lynchs TV-Serie „Twin Peaks“. Ich hoffe, das kommt in meiner Musik auch rüber.
In nicht einmal mehr als acht Jahren will Finnlands Hauptstadt Helsinki klimaneutral sein. Ist das für Sie ein Zeichen von Hoffnung?
Helsinki und unsere Ministerpräsidentin Sanne setzen sich für die Menschen ein. Das ist großartig. Ich glaube nicht, dass wird dem Planeten gegenüber fair sind, denn er hat uns bisher recht gut behandelt. Wir hingegen haben ihn nicht gerade freundlich behandelt. Jetzt merken wir, dass wir es viel besser hätten machen können. Die Zeit läuft uns davon, also ist es ein guter Zeitpunkt, etwas zu tun. Hoffentlich werden wir auch in der Zukunft einen Ort haben, an dem wir leben können. Das ist jetzt natürlich eine sehr optimidtische Weltsicht. Das hängt bei mir immer von der Tagesverfassung ab.
Finnland hat einen gefährlichen Nachbarn: Russland. Deshalb will es über 200 Kilometer seiner Grenze mit Russland mit einem über drei Meter hohen Zaun schützen. Wie fühlt es sich an, in diesen Zeiten in Finnland zu leben?
Für einen Moment dachte ich, Donald Trump zieht nach Finnland, als ich hörte, dass sie über den Bau einer Mauer sprechen. Für mich als Musiker ist das sehr schade. Ich hatte gehofft, mit meinem Soloalbum auch in Kiew und ein paar Orten in Russland spielen zu können. Mit HIM hatten wir vor allem in Russland viel Spaß. Das Publikum dort ist fantastisch. Wahrscheinlich haben diese Leute gerade nicht die beste Zeit ihres Lebens. Es ist ziemlich verwirrend, aber nichts Neues. In der Geschichte zwischen Russland und Finnland gab es viele Feindseligkeiten. Wir haben aber versucht, Zäune abzureißen und keine neuen zu errichten. Ich bin selbst kein Politiker und nicht qualifiziert, politische Stellungnahmen abzugeben, aber als Musiker und Mensch hoffe ich, dass diese Dinge bald besser werden. Abgesehen von dem Ukraine-Krieg haben viele Russen nicht die Möglichkeit, so zu leben, wie sie es eigentlich sollten. Sie sollten Redefreiheit haben und lieben dürfen, wen sie wollen. Dass dem nicht so ist, ist ziemlich traurig. Ich glaube, HIM-Fans in Russland würden es lieben, wenn ich dort wieder auftreten würde. Drücken wir einfach mal die Daumen, dass es irgendwann wieder möglich sein wird.
Sind Sie wegen Ihrer ersten Solo-Tour eigentlich nervös?
Ich werde wahrscheinlich kotzen und mir in die Hose scheißen auf dieser Tour, es ist aber eine positive Aufregung. Ich bin auf der Bühne immer nervös, man braucht diese Schmetterlinge im Bauch auch. Es bedeutet ja, dass man wirklich für das brennt, was man da tut.
Wie präsentieren Sie die alten HIM-Hymnen live?
Die Setlist ist etwa 50/50. Ich weiß, dass eine Menge Leute nicht nur meine neuen Songs hören wollen. Die HIM-Stücke sind für mich persönlich auch sehr wichtig; auf einer künstlerischen Ebene sowieso. Das war ja mein Leben in den letzten 25, 30 Jahren. Wir spielen sie sehr respektvoll gegenüber den Originalen. Ich hoffe, wir können ihnen eine andere Perspektive und das Flair von meinem Soloalbum verleihen. Für mich ist es sehr schön zu sehen, wie ein 25 Jahre alter Song wie „When Love and Death embrace“ zu meinen Solosachen passt. Ich habe neue Ideen und Inspirationen, aber der Kern hat noch denselben augenzwinkernden, melancholisch-düsteren Finnisch-Vibe.
Fotos Joonas Brandt
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