Vom 28. Oktober 2022 bis zum 10. April 2023 zeigt das Schloss Museum Wolfenbüttel die Sonderausstellung „Hexenwahn – Glaube. Macht. Angst.“, welche in Kooperation mit dem Universitäts- und Stadtmuseum Rinteln entstand, und lädt herzlich dazu ein, sich mit der düsteren Vergangenheit des Herzogtums Wolfenbüttel auseinanderzusetzen.
Knusper, knusper knäuschen… Als ich mich auf den Weg mache, um mir die Wanderausstellung „Hexenwahn – Glaube. Macht. Angst.“ zum ersten Mal anzusehen, jagen die fallenden Kalenderblätter gerade im Eiltempo dem Reformationstag aka Halloween entgegen. Die Regale der Supermärkte sind zum Zerbersten gefüllt mit ästhetisch höchst fragwürdigen Kostümen, Kürbissen aus Plastik und Süßkram aller Art. Die Vorbereitungen auf das große Gruseln laufen auf Hochtouren. Natürlich tauchen auch immer wieder Hexenverkleidungen in allen nur denkbaren Ausführungen auf. „Irgendwie passend“, denke ich, kurz bevor ich im Museum eintreffe. Doch was mich dort erwartet, ist die grausige Gewissheit darüber, dass nicht etwa die Hexen selbst das eigentlich Gruselige sind, sondern viel eher diejenigen, die willkürlich unschuldige Frauen zu ebensolchen hochstilisierten und sie aufs Grausamste verfolgten, folterten und hinrichteten.
Auch wenn die jüngste Forschung zeigt, dass es sich beim Mittelalter um ein gar nicht ganz so dunkles Zeitalter handelt, wie in den vorigen Jahrzehnten immer vermutet wurde, muss man bezüglich der Hexenthematik ganz klar sagen, dass es viel dunkler vermutlich nicht mehr werden kann. Etliche Naturkatastrophen, eine hohe Kinder- und Muttersterblichkeit im Wochenbett sowie etliche tödliche Krankheiten – die Menschen im 15. Jahrhundert sahen sich mit zahlreichen Widrigkeiten konfrontiert, für die sie schlichtweg keine Erklärung finden konnten. Was also tun? Natürlich! Eine Schuldige suchen. Und so wurden ganz gewöhnliche, meist alleinstehende Frauen aus einem Gefühl der Verzweiflung, des Mistrauens und der Hilflosigkeit zur Projektionsfläche für all das erfahrene Leid und als vermeintlich entlarvte Hexen hingerichtet.
Doch auch das 16., 17. und sogar noch das frühe 18. Jahrhundert stehen dem Hoch- und Spätmittelalter in nichts nach. So wurden unter den Herzögen Heinrich Julius (1564 bis 1613) und August dem Jüngeren (1579 bis 1666) in Wolfenbüttel über 200 Hexenverfolgungsprozesse geführt, von denen wohl die meisten ebenfalls in einer Hinrichtung endeten. Erst mit der Aufklärung, dem Zeitalter der Vernunft, gelang es diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten und dem wahrlosen Foltern und Morden Einhalt zu gebieten.
Zeugnisse des Schreckens
Um die kurzweilige Zeitreise so direkt wie möglich erfahrbar zu machen, umfasst die Ausstellung im Schloss Museum neben 25 höchst informativen Texttafeln auch rund 70 Exponate, die uns die Hexerei in all ihren Facetten vor Augen führen. Zu sehen sind etwa eine Voodoo-Puppe, ein Dachziegel mit einem eingeritzten Pentagramm, das Richtschwert eines Scharfrichters um 1700, diverse Folterwerkzeuge und ein eiserner Stuhl, auf dem vermutlich die Alchemistin Anne Marie Ziegler lebendig verbrannt wurde. Die Ausstellungsstücke stammen selbstverständlich nicht nur aus Zentraleuropa, sondern ebenso aus dem Nahen Osten oder verschiedenen afrikanischen Ländern, denn – wieso sollte es auch anders sein – Aberglaube und Hexerei sind ein internationales Phänomen, das seit jeher eine ganz besondere Faszination auf die Menschen aller Kulturen ausübt. Um das sichtbar zu machen, und die Besucher:innen zur aktiven Teilhabe an der Ausstellung zu ermutigen, haben sich die Kurator:innen Dr. Sandra Donner als Museumsleiterin, Markus Gröchtemeier als stellvertretender Museumsleiter und Stella Gilfert als Museumspädagogin einen ganz besonderen Kniff einfallen lassen: „Wir haben ja ein sehr unterschiedliches Publikum mit verschiedenen Herkunftsländern. Auf unserer interaktiven Weltkarte können die Besucherinnen und Besucher mit einem beschrifteten Fähnchen markieren, welche mit Aberglauben verbundenen Gepflogenheiten in ihrer Heimatstadt oder in ihrem Heimatland gelten.“, so Gilfert.
In Norddeutschland stirbt ein Seemann, wenn eine Pfeife mit einer Kerze angezündet wird und in Russland wird jemand schief angeguckt, der in Innenräumen zu pfeifen anfängt, da auf diesem Wege das Unglück ins Haus geholt werden soll. Ähnliche Bräuche sind auch mir aus unseren Längen- und Breitengraden bekannt. Offensichtlich gibt es also einige Praktiken und Ausprägungen des Aberglaubens, die nicht nur in regionalen Kulturkreisen auftreten, sondern noch darüber hinaus das Handeln der Menschen beeinflussen.
Hexerei im Hier und Jetzt
Auch heute ist die Hexerei ein Thema, das in vielerlei Hinsicht beschäftigt. Disney hüllt die Figur der Hexe in vielen ihrer Filme in ein völlig neues Gewand und seit vielen Jahren fliegt Bibi Blocksberg auf ihrem Besen Kartoffelbrei durch die Kinderzimmer dieses Landes. Doch die Schattenseiten der Hexerei sind noch nicht gänzlich überwunden. So wurde etwa 2004 in Saudi-Arabien eine Frau von der Regierung der Hexerei beschuldigt und auch verurteilt. Das endgültige Abschließen mit der furchtbaren Vergangenheit der Hexerei hat sich die zeitgenössische Hexenbewegung zur Aufgabe gemacht. Sie verstehen sich als eine Art Religion; einen naturverbundenen Kreis spiritueller Frauen, die sich nehmen, was sie haben wollen. Es geht um einen Neuanfang, um das Abschließen mit der Vergangenheit. Gewissermaßen eine Empowerment-Bewegung. Die konkrete Auslebung der Religion ist dabei höchst individuell und kann von Hexe zu Hexe völlig unterschiedlich aussehen.
Wer jetzt Lust bekommen hat, den zeitgenössischen Hexenkult mal genauer unter die Lupe zu nehmen und sich ihm vielleicht sogar anzuschließen oder einfach nur in den schaurigen Beweismitteln der Vergangenheit zu stöbern, der:die ist herzlich eingeladen, auch einmal in Wolfenbüttel vorbeizuschauen und sich der Hexerei hinzugeben.
Fotos Jannick Stühff
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