Der schmale Grat zwischen Wahrheit und
Hokuspokus – was geben uns Horoskope?
Wer kennt diese Sprüche nicht: „Du bist so sensibel und willensstark – du musst ein Stier sein!“, „Du bist ein Skorpion, mit dir kann ich nicht befreundet sein“ oder „Sorry, ich kann nichts dafür, ich bin Widder“. Immer wieder begegnet uns Astrologie im Alltag. Während manche bei diesem Thema emotionsgeladen mitfiebern, rollen andere lediglich genervt mit den Augen – nicht schon wieder dieses esoterische Gelaber. Doch was genau verleitet den einen dazu, Sternkonstellationen krampfhaft einen tieferen Sinn zuzuschreiben, wohingegen der andere dem Thema mit Spott entgegentritt? Ist es hilfreich oder eher selbstzerstörerisch, Horoskope als Wegweiser zu nehmen? Woher stammt die zunehmende Begeisterung?
Astrolog:innen berechnen anhand bestimmter Gestirnkonstellationen prognostische Aussagen über die Potenziale, Anlagen und Fähigkeiten eines Individuums. Im Gegensatz zu „Hobby-Astrolog:innen“ versuchen sie also, ihre Prognosen zu belegen und glauben nicht, dass Sterne unser Leben auf der Erde beeinflussen, aber in einem Zusammenhang zueinanderstehen. Und diese seien laut Klemens Ludwig, Vorstandsvorsitzender des deutschen Astrologenverbandes, keine Kausalität, sondern eine Analogie. Zudem empfinden ernsthafte Sterndeuter Zeitschriften-Horoskope als kompletten Humbug. Die Opposition zu den Astrolog:innen bilden Astronom:innen. Sie betiteln Astrologie als eine Pseudowissenschaft, die unbelegte Aussagen trifft. Wenn aber der Zusammenhang der Sternkonstellationen und unserer Persönlichkeit längst widerlegt wurde, warum sind Horoskope aktuell beliebter denn je?
Scheinsicherheit
„Harte Wissenschaft ist logisch, aber nicht psychologisch“, erklärte etwa Astronom Werner Gross gegenüber welt.de: „Auch wenn wir Rationalität in uns haben, haben wir auch Gefühle, Herz und Bauch“, ergänzt er. Das ist der ausschlaggebende Punkt: Menschen hatten schon immer den Wunsch, die Zukunft vorhersagen zu wollen, um einen Sinn zu finden. Dinge, die uns zu komplex erscheinen, wollen wir vereinfachen, im Unstrukturierten suchen wir Struktur. Der Glaube, dass unsere Handlungen durch eine höhere Macht beeinflusst werden, lässt uns nicht nur Verantwortung abgeben, sondern auch besonders fühlen.
Inzwischen spricht man zudem eher von einer „psychologischen Astrologie“, da die Psychologie bestens geeignet ist für eine konkrete und verständliche Übersetzung von Symbolsprache. Sie deutet nicht nur besser, sondern kann gleichzeitig auch Lösungen für Probleme bieten. Abgesehen davon besitzt jede:r von uns, auch diejenigen, die nicht an den Horoskop-Firlefanz glauben, eine Eigenschaft, die der Astrologie ganz gelegen kommt: nämlich unsere Neigung, vage und allgemeingültige Aussagen anzunehmen sowie unseren Drang zur Selbstbestätigung. Zugegeben – wir sind recht machtlos gegenüber diesem Phänomen, sodass die Bannkraft der Astrologie trotz aller Widersprüche unangefochten bleibt.
Sternzeichen im Alltag und Netz
Die durch die Pandemie entstandene Isolation und Unsicherheit hat insbesondere die Jugend dazu verleitet, in sozialen Netzwerken Halt zu suchen – ein gefundenes Fressen für Horoskop-Junkies. Angesichts des momentanen Astrologie-Trends habe ich den 22-jährigen Luca und die 20-jährige Malea zu dem Hype befragt: Als es darum ging, ob sie an Sternzeichen glauben, waren sich beide einig: „Nein, kein Horoskop ist in der Lage, meinen Charakter zu beschreiben.“ Bei der Frage, ob sie schon mal aufgrund ihres Sternzeichens verurteilt wurden, entgegneten sie mir ein entsetztes „Ja!“. Grundsätzlich liest keiner von ihnen Horoskope, aber gewiss manchmal astrologische Memes, Fakten und Tipps auf Social Media. Während aber Malea mir verriet, dass sie gern zur Unterhaltung in Astrologie-Accounts reinschnuppert, berichtet Luca: „Ich checke solche Accounts nur ab, um mich über das Thema lustig zu machen.“
Allgemein kann man nur spekulieren, warum sich Frauen scheinbar deutlich mehr für Astrologie interessieren – weswegen sonst finden sich Horoskope meistens eher in Frauen-Zeitschriften? Auch wenn sich Männer teilweise über den Hype lustig machen und Frauen unterbewusst einen gewissen Reiz verspüren, ist doch erkennbar, dass das Thema niemanden ganz kalt lässt.
Ich befinde mich in einem Freundeskreis, der dem Thema relativ neutral gegenübersteht. Ein Grund mehr, nachzuhaken und bei ihnen zu horchen, was sie glauben, weshalb so viele Menschen von den Sternen gefesselt werden. „Ich glaube, viele bedienen sich der Astrologie, um eine Art Entschuldigung oder Bestätigung für ihr Verhalten zu bekommen“, erklärt Luca. „Man braucht etwas, woran man glauben und festhalten kann“, meint Malea.
Durchaus treffen Horoskop-Aussagen, die im Netz stehen, häufig zu, doch das hat eher damit zu tun, dass sich die Horoskop-Creator auf allgemeine Persönlichkeitsdeutungen stützen, die auf jede:n zutreffen können. Schließlich sehnt sich jede:r nach Anerkennung, ist mal verschlossen und dann wieder extrovertiert, genauso wie sich jede:r mal missverstanden fühlt. Bei genauerem Blick merkt man schnell, dass sich Astrologie-Accounts letztlich ständig wiederholen.
Auf dem Boden der Tatsachen
Jede:r soll glauben, woran er mag. Trotzdem sollte ein gesundes Mittelmaß gefunden werden, denn der derzeitige Astrologie-Wahnsinn nimmt fast schon überhand. Natürlich ist es reizvoll, seine eigenen Entwicklungspotenziale, Eigenschaften und Anlagen zu entdecken. Es darf dabei aber nicht vergessen werden, dass die Astrologie keine äußeren persönlichen Einflussfaktoren mit einbezieht. Prinzipiell erfasst sie einzelne Wesenszüge und Lebensthemen und lässt das private Umfeld wie Familie, Erziehung und Habitus außen vor. Sich deshalb Horoskope als Wegweiser und Sternzeichen als Rechtfertigung zu nehmen, ist unsinnig. Unbedeutend ist zudem die von Horoskopen gegebene Sternzeichenkompatibilität, denn an einem harmonischen Beisammensein muss stets gearbeitet werden. Willst du nicht aufgrund deines Sternzeichens verurteilt werden, solltest du auch keinen verurteilen, der daran glaubt. Du bist, wie du bist – egal, ob Stier, Skorpion oder Widder.
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