Flucht vor dem Weltuntergang

Eine laute Stimme ihrer Generation: Kraftklub stürmen mit ihrem neuen Album „Kargo“ am 15. November die Volkswagen Halle Braunschweig.

Die fünf Chemnitzer nehmen die Faschos, die Angstmacher und die Wohlstandsgesellschaft aufs Korn. Mit Sänger Felix Brummer und Gitarrist Steffen Israel sprach Olaf Neumann über ihre Zusammenarbeit mit Tokio Hotel, Heimatverbundenheit und Vermeidungsstrategien.

 


In „Teil dieser Band“ heißt es selbstironisch: „Ich kann nicht singen/Ich spiel kein Instrument/Aber alle am Springen/Und ich schrei den Refrain”. Wundert ihr euch manchmal selbst, dass ihr jetzt schon so lange von der Musik leben könnet?
Felix Es ist auf jeden Fall ein durchgehendes Wundern. Im Sommer hatten wir das Vergnügen, mit einer studierten Musikerin zusammenarbeiten zu dürfen, die Max zeitweise am Schlagzeug ersetzt hat. Da hat man gemerkt, wie es ist, mit richtigen Profis zu spielen. Philo konnte an zwei Tagen erlernen, was wir uns in zehn Jahren im Proberaum mühsam draufgeschafft hatten.

Ist Karriere größtenteils das, was einem zufällig passiert? Oder steuert man sie selbst?
Steffen In geringerem Maße als vielleicht der Zufall eine Rolle spielt.
Felix Man neigt immer dazu, die eigene Leistung und den eigenen Fleiß höher zu hängen, als sie eigentlich sind. Zufälle und glückliche Verbindungen spielen auch eine sehr große Rolle.

Ihr hättet ja auch einen Uni-Abschluss machen und ein ruhiges, bürgerliches Dasein fristen können. Warum habt ihr ausgerechnet diese „seltsame“ Lebensform gewählt?
Steffen Meine Eltern übten nie Druck auf mich aus. Sie freuten sich, als ich anfing, Medientechnik zu studieren, aber ich habe es nicht zu Ende gebracht. Dann unterstützten sie mich auch bei meiner Musik sehr.
Felix Das liegt auch an der Sozialisierung durch die DDR. Bei der Generation unserer Eltern spielte der Erwerbsdruck nie eine große Rolle. Das Vorsichhinwurschteln war State of the Art. Die große Angst, was aus einem werden soll, wenn es mit der Kunst nicht klappt, gab es nicht. Zur Not wäre man LKW-Beifahrer geworden.

Wie trefft ihr Lebensentscheidungen? Geht die Band stets vor?
Steffen Es gab den Punkt, wo wir uns entschließen mussten, ob wir das professioneller machen wollen. Ab da hatte die Band Priorität.

Kraftklub existiert mittlerweile seit zwölf Jahren. Wenn eine Band älter und erfolgreicher wird, geht ihr zuweilen die Kreativität verloren. Was kann man dagegen tun?
Felix Immer mal wieder eine Fünfjahrespause einfließen lassen! Indem der Frontmann zwischendurch ein Soloalbum macht, wird das Bandleben beflügelt. Tatsächlich haben wir bei der neuen Platte keinen Druck verspürt. Es fühlte sich an, als würden wir wieder ein Debüt aufnehmen. Das ist einer der wenigen positiven Aspekte dieser komischen Zeit.
Steffen Solange man Input hat, schwindet die Kreativität auch nicht. Man macht sich manchmal selbst Druck, weil man das Musikmachen als Job sieht. Aber meistens ist das nicht harte Arbeit. Es geht einher mit dem Leben und dem, was einem Freude bereitet.

Dieses Jahrzehnt scheint zu einer Ära der Krisen zu werden: Klimakrise, Krieg, Rechtsruck, Pandemie – was sind die Folgen dieser Krisen für euch als Künstler?
Steffen Manchmal ist die Musik für uns als Künstler wie eine Flucht vor dem Weltuntergang, wenn es einen emotional herunterzieht. Sie ist ein Weg, sich abzulenken und diese Dinge zu verarbeiten.

Öffnet diese Großkrise kreative Türen?
Felix So würde ich es nicht formulieren wollen, denn das wäre ja Krise als Chance. Das fühlt sich unangebracht an.
Steffen Es kann schon passieren, dass sich Emotionalität in eine Kreativität umwandeln kann, aber bewusst findet das nicht statt.
Felix Und auch mit viel größerem Abstand. Bei dem Song „4. September“ habe ich gemerkt, wie viel Zeit es brauchte, bis ich das in einem Musikstück artikulieren konnte. Man kann also nicht sagen, dass die Kunst in Krisen erst recht gedeiht.

Resigniert ihr bei der Frage, was man gegen Rechtsextremismus wirklich tun kann?
Felix Wir als weiße Sachsen müssen versuchen, so gut es geht für die Betroffenen von Rechtsradikalismus da zu sein.
Steffen Man darf es nicht hinnehmen, auch wenn man vielleicht nicht so viel daran ändern kann.

Befandet auch ihr euch während der Pandemie in einer psychischen Ausnahmesituation?
Steffen Es war auf jeden Fall eine erdrückende Zeit. Der einzige Hoffnungsschimmer war, dass man dachte, nächstes Jahr wieder Konzerte spielen zu können.
Felix Man hat sich immer damit getröstet, dass man so lange durchhalten muss, bis sich alle schön impfen lassen und wieder auf Konzerte gehen können. Und dann kam der Impfstoff. Ab dem Moment habe ich den Glauben an alles verloren, weil ich im Winter 2021 trotz Vakzin und Zugangskonzept eine Tour abbrechen musste. Das war wirklich frustrierend. Und es ist nicht ausgemacht, dass es im nächsten Winter wieder so ist.

Bei dem Ohrwurm „Fahr mit mir (4×4)“ gastieren die Jungs von Tokio Hotel. Fühlt ihr euch mit der Band verbunden aufgrund der gemeinsamen ostdeutschen Herkunft?
Felix Diese Zusammenarbeit war sehr unkompliziert. Tokio Hotel wurden Weltstars, als ich jung war. Mir war damals nicht bewusst, dass wir im selben Alter sind. Wir haben auch gemeinsame Biografiepunkte, weil wir in ähnlichen Oststädten aufgewachsen sind. Wenn man sich überlegt, was der Skateboarder Steffen und der Hip-Hopper Felix so in Chemnitz erlebt haben, kann man sich ausmalen, was jemand mit Dreadlocks oder Kajalstift in Magdeburg erlebt haben muss.

Lernt man auf diese Weise, sich durchzusetzen?
Steffen Ganz im Gegenteil: Man wird eher vorsichtiger.
Felix Man lernt Vermeidungsstrategien. Es ist leider nicht so, dass man durch das Stahlbad im Osten der frühen 2000er-Jahre gegangen ist. Man hat eher gelernt, dass man nicht auf die Polizei vertrauen kann, wenn man sie ruft. Gerade im Nachtleben galt das Gesetz des Stärkeren. Man hatte das Gefühl, dass sich Stärkere oft in einer Fascho-Blase aufgehoben fühlen.

Die Kaulitz-Zwillinge sind vor Jahren nach Los Angeles geflüchtet. Warum seid ihr bis heute im heimatlichen Chemnitz geblieben?
Felix Man redet in Interviews immer über die negativen und wenig über die positiven Aspekte, weil die natürlich ein bisschen langweilig sind, für uns persönlich aber Gewicht haben: Freunde zum Beispiel. Familie. Ruhe. Platz für Sachen, die man in anderen Städten schwerer umsetzen kann. Wir haben zu Hause ein tolles Umfeld von ganz verschiedenen Künstlern. Und Chemnitz wird 2025 Kulturhauptstadt Europas.

Versteht ihr euch als Botschafter eurer Stadt?
Felix Nein, so lange ich dort noch lebe, habe ich die Tendenz, mich kritisch mit mir und meinem Umfeld auseinanderzusetzen. Aber wenn ich wegziehe, fange ich vielleicht an, heimatverliebte, sehnsuchtsvolle Songs zu schreiben. 

Termin
15. November
20 Uhr | VW-Halle (BS)
kraftklub.to

Foto Philipp Gladsome

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Geschrieben von Olaf Neumann

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